Seit Jahr und Tag gehört es zu Bertis und
meinen Gewohnheiten, am Samstag über die Buchmesse zu bummeln. Mindestens drei
Bier-Abende bereiten wir uns auf diesen Tag vor, denn es gibt jede Menge zu
erzählen, will heißen: Berti erklärt mir, welche Bücher wir uns anschauen
sollten, welche Verlage wir besuchen müssten, und ich höre zu und freue mich,
Berti glücklich zu sehen. Auch dieses Jahr war das nicht anders, wir waren
gespannt auf das, was es zu entdecken gäbe, auf das Unverhoffte, Zufällige, und
am Freitagabend gestand ich, dass ich einen Teil des Tages schon verplant und
mit einem angehenden Autor einen Termin abgemacht hätte. Berti war erstaunt,
aber neugierig. Das war ich allerdings auch.
Ein Höhepunkt, das stand fest,
würde wie in den vergangenen Jahren der Besuch der Antiquariatsmesse sein, jener
exklusive Bereich, in dem die alten Bücher Geschichten und Geschichte erzählen,
eindringlich unaufdringlich. Sie flüstern hinter Glas und aus Holzregalen, und
obwohl es ja nicht möglich ist, meine ich ihren Atem zu riechen, diese
sentimental machende Mischung aus Muff und vergilbtem Papier, die einem
entgegenströmt, wenn man ein sehr altes Buch aufschlägt. Es war, als legte
jemand einen Schalter um, und plötzlich ist man in einer anderen Zeit gelandet,
so ähnlich, wie es mir immer geht, wenn ich, was leider nur noch selten
vorkommt, dieses unnachahmliche Potpourri aus Leder, Kleber und Schuhcreme
rieche, das mich an den alten Schuster erinnert, der früher hier im Viertel
seine Werkstatt hatte, mit all diesen geheimnisvollen Werkzeugen darin und
deckenhohen Regalen voller verstaubter Treter, die aussahen, als stünden sie
schon Jahrzehnte dort. Aber dieses Jahr war alles anders.
Die erste Enttäuschung bereitete uns Herr
Hundekötter. Man soll ja keine Vorurteile haben, aber er sah nicht nur genau so
aus, wie man sich einen Menschen mit diesem Namen vorstellt, der zu allem
Unglück auch noch Versicherungsvertreter ist, wie er uns wortreich erklärte,
sondern er redete auch so. Zum Glück hatte er wenigstens genügend Anstand, uns
keine seiner vorzugsweise vertriebenen Policen gegen Erdbeben und Glasbruch
aufzuschwätzen.
Ich hatte gedacht, wir tränken irgendwo
gemütlich einen Kaffee, gingen dann vielleicht zusammen zu einer Lesung. Aber Zuhören war nicht Herrn Hundekötters Thema. Ein Buchhändler
und ein Verleger! Ich hatte das Gefühl, der glaubte, mit uns im Lotto gewonnen
zu haben. Er hörte nicht auf zu berichten und zu klagen, über seinen wunderbaren
Roman, über sein aufopferungsvolles jahrelanges Schreiben und sein verzweifeltes
Bemühen, als Autor Fuß zu fassen, über all die ignoranten Verlage, die sein
Talent und sein epochales Werk verkannten, und die nicht minder ignoranten
Buchhändler, die sich weigerten, sein Erstlingswerk ins Regal zu stellen, ein
schmaler, lieblos editierter Gedichtband, den er stolz aus seiner Aktentasche
zog, bei dem – ein Anlesen genügte – der Inhalt der Aufmachung entsprach.
Begeistert sei sein Verlag gewesen, nachgerade hingerissen von dieser
sprachlichen Urgewalt! Und immer noch werde das Werk neu aufgelegt, obwohl es
schon Jahre alt sei. Und das auch noch zum Schnäppchenpreis! Leider, leider, sei
es ihm nicht möglich, seinen großen Roman ebenfalls in diesem wunderbaren Verlag
zu verlegen, weil es finanziell für ihn nicht leistbar sei. Ich wagte den
Einwand, dass es nach meiner Auffassung Aufgabe eines Verlegers sei, Bücher
nicht nur zu publizieren, sondern auch zu finanzieren. Herr Hundekötter
widersprach vehement, und außerdem: Behauptete ich nicht auch, Verleger zu sein?
Dabei hätte ich nicht mal ein einziges Buch im Programm, aber er könne sich eine
Zusammenarbeit wirklich wunderbar vorstellen und käme mir auch gern mit dem
Preis entgegen. Ich sah ein, dass es besser war, das Thema zu beenden.
Und Berti? Machte gute Miene zum geschwätzigen
Spiel, nippte an seinem Kaffee, nickte ab und zu und sagte hm. Nach
zwei Milchkaffee, einem Espresso und einer guten Stunde Vortrag über die Saga
derer von Hundekötter, angefangen im Mittelalter bis kurz vor der
Jahrtausendwende, verlor er dann doch ein bisschen die Geduld. Er schaute Herrn
H. mit dem typischen Berti-Blick an und fragte freundlich: „Dürfte ich Ihnen
eine Frage stellen?“ Kurze Pause. Nicken. „Wann haben Sie zuletzt ein Buch
gelesen, Herr Hundekötter?“
Ich erwartete eine ausschweifende
Rechtfertigung, aber Berti schaffte es mal wieder: Der Herr Autor setzte an,
etwas zu sagen, überlegte es sich anders, grummelte irgendwas von keine Zeit
mehr, und wichtige Termine, trank den kalten Kaffee aus, nahm sein
Manuskriptpaket, und weg war er.
„Du hättest die Frage eine Stunde früher
stellen sollen“, sagte ich.
Berti lächelte. „Ich glaube, früher hätte sie
nicht gewirkt.“
Froh, nicht mehr reden zu müssen, schlenderten
wir durch die Hallen, vorbei an blutigem Gemetzel und zähnefletschenden
Vampiren, wir passierten Galerien historischer Frauenporträts ohne Porträt und
Sonnenuntergänge mit Wegen und Wasser und Wehmut von Down Under bis
Cornwall; es gab jede Menge kitschiges Alpenaccessoire und Dorfambiente neben
nicht minder häufigem grusligem Grausen; und drei Gänge weiter die Histo-Schmonzetten,
eine ganze Wand in Rosa-Lila.
Waren die Bücher im vergangenen Jahr auch so aufdringlich bunt?
So austauschbar in Titel und Texten? Alles um uns herum schien zu schreien:
Verstörend! Berührend! Hochspannend! Tiefgründig! Der absolute Lesegenuss! Der
super Thriller! Ich stellte mir vor, dass am Abend vor der Messe-Eröffnung eine
ganze Kompanie Werbefuzzis Dutzende Wägelchen mit Slogans und
Säcken voller Ausrufezeichen beladen hatten, durch alle Hallen gezogen waren und den
Inhalt ziel- und planlos auf Wände, Plakate und Ankündigungstafeln geworfen
hatten. Und zwischen all diesem Wörter-Gewusel gab es Kochbuchköche, die ihre
Leser live becookten, und spirituelle Teebuchautoren zeremonierten
spirituelle Tee-Zeremonien, und wir querten Super-Locations und
Mega-Events und ein Zentrum für Story Drive und
Cross-Media und Hot-Spots und, ach, Content fanden
wir auch, verschämterweise nur auf Englisch.
Aber hatte es all das im vergangenen Jahr nicht auch schon irgendwie gegeben? Warum fiel es uns ausgerechnet dieses Mal so übel auf? Weil die Bücher nicht mehr nur mit Farben brüllten, sondern auch noch anfingen zu flattern, zu flimmern und zu knattern? Books and Games, Brot und Spiele. Digital ist überall.
Und Berti guckt mich mit der strengen Variante seines Buchhändlerblickes an und sagt: „Es gibt gute und schlechte Bücher, und es gibt Druckwerke, die wie Bücher aussehen. Letztere sollte man nicht dadurch adeln, dass man über sie spricht.“
Wir verließen den Marktplatz der Schreier, folgten weniger frequentierten Gängen, studierten Bücher von Verlagen, an deren Stand nicht mal Platz für einen Tisch mit Kaffeetassen und Keksen blieb. Wir trafen Bücherleute, weniger als im vergangenen Jahr, ein kleiner Verlag, zu dem Berti unbedingt wollte, hatte kurzfristig abgesagt, die Koje war leer. Ein trostloser Anblick. Berti blieb irgendwann stehen, schaute sich um, breitete die Arme aus, und sagte: „Gibt es ein besseres Argument für die Abschaffung des Gedruckten als das hier?“
Und Berti guckt mich mit der strengen Variante seines Buchhändlerblickes an und sagt: „Es gibt gute und schlechte Bücher, und es gibt Druckwerke, die wie Bücher aussehen. Letztere sollte man nicht dadurch adeln, dass man über sie spricht.“
Wir verließen den Marktplatz der Schreier, folgten weniger frequentierten Gängen, studierten Bücher von Verlagen, an deren Stand nicht mal Platz für einen Tisch mit Kaffeetassen und Keksen blieb. Wir trafen Bücherleute, weniger als im vergangenen Jahr, ein kleiner Verlag, zu dem Berti unbedingt wollte, hatte kurzfristig abgesagt, die Koje war leer. Ein trostloser Anblick. Berti blieb irgendwann stehen, schaute sich um, breitete die Arme aus, und sagte: „Gibt es ein besseres Argument für die Abschaffung des Gedruckten als das hier?“
Zwei Damen lächelten und nickten, und wir lachten los und ernteten empörte Blicke.
Zurecht. Wir alten Deppen! Und dann gingen wir zu den alten Büchern, und es war himmlisch.
(c) Thoni Verlag
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