Annabelle Chanson, A. C. Dacon, oder wie war das noch mit den ulkigen Pseudonymen??
Jedes Jahr das gleiche Spiel: Eigentlich habe
ich keine Lust, mich in dieses Messegetümmel zu stürzen, all die Büchermassen zu
sehen, das frustriert mich jedes Mal aufs Neue, weil ich mir vorstelle, wie
viele Leser es bräuchte, dass sie alle gekauft, gelesen, gewürdigt würden, und
dazu kommt die Furcht, dass ich darin verschwinden könnte mit meinen Werken,
dass ich unterginge in diesem gigantischen Bücher-Mehr, das sich speist aus
einem endlosen Strom gedruckter Wörter, die neuerdings auch noch in allen
möglichen Formen digital verwurstet werden. Allerdings bin ich in dieser
Hinsicht hoffnungslos altmodisch: Das wunderbare Gefühl, in einem Buch zu
blättern, es zu tasten, zu riechen, kann mir der hippste eReader nicht ersetzen.
Das Problem ist: meinen Kindern schon. Bücher lesen ist dem Jungvolk von heute
zu anstrengend. Und ich befürchte, das ist erst der Anfang. Meine Enkel werden
meine sorgsam aufgebaute, geliebte Bibliothek dereinst womöglich zur Dämmung
zwischen den Dachsparren einsetzen. Und ich degeneriere zur dementen Omi, die
weiterhin stur mit der Kutsche reist in Zeiten von Flugzeug und ICE.
Sei`s drum. Ich war ja nur sekundär als Leserin
auf der Messe, und primär: als gefragte Produzentin von angesagtem
Content; auf Altdeutsch: Die erfolgreiche Autorin beehrt sich! Lächelt.
Schreibt Fans geduldig die immer gleichen Sprüche in die Bücher, lächelt noch
mehr, freut sich über Lob und ehrfurchtsvolle Blicke, über Lesegetreue seit Band
eins, über Bücherwürmer, die ihre vergilbten HC-Ausgaben aus der Tüte kramen und
mit leuchtenden Augen fragen: "Könnten Sie bitte Für Annika, eine
begeisterte Leserin, dazuschreiben? Mit doppel-N, bitte?"
Und für Eva und Alex und Silvia und Cornelia
und Susanne … die Star-Autorin macht das natürlich gern, sie fühlt sich
gehuldigt, kurz vor der Verleihung des Messestand-Nobelpreises sozusagen. Das
geht runter wie ein Löffelchen Natives Olivenöl Extra! Und Kaffee
gibt’s, und O-Saft und statt Mittagessen wegen der vielen Termine einen Apfel
und wie immer viel zu viel Konferenzgebäck.
Meine Lektorin strahlt, die Reporter schreiben
brav auf, was ich sage, und die Fotografen fotografieren mich, vor, ach: diese
Bücherwand! Vergessen ist die schlechte Laune ob der Farbkomposition und des
einfallslosen Titels! Vergessen, dass ich kein Lila mag und Rosa seit
Kindheitstagen hasse; diesem geschätzten zwei auf drei Meter
Höhemalbreite-Argument kann man sich nicht entziehen! Die Leute bleiben stehen
und staunen, murmeln, schauen zu mir, murmeln wieder, gehen andächtig weiter.
Womöglich haben die Marketingfuzzis doch recht, ein bisschen zumindest, sei`s
drum: ES IST BEEINDRUCKEND! MEINE Bücher! Annabelle Chanson schwebt durch die
Hallen, wird erkannt, grüßt, schüttelt Hände, lächelt, lacht, signiert auf dem
Gang, lächelt mehr, macht Smalltalk, VIP für Messe-Gänger, drei Minuten, weiter
geht`s.
Geplant zufälliges Vorbeischlendern am
Kitty-Stand: Jetzt hüpft das Herz von A. C. Dacon, auch hier erheben sich die
richtigen Bücherberge über der anderen Bücherseen: Gleich drei Kitty-Morde
werden präsentiert, wenn auch insgesamt zwei Nummern kleiner als bei Annabelle
Chanson. A.C. Dacon gönnt es der Kollegin, und das Öl flutscht nur so. Zurück am
Stand, Info von der noch immer strahlenden Lektorin: Es sind weitere Lizenzen
der Leidenschaften verkauft. Niederlande, Belgien, Japan auch. Und
Gespräche mit den USA laufen. MIT DEN USA!!! Eine Mitarbeiterin, seufzend: „Ihr
neuer Roman steht auf der Hitliste der geklauten Werke ganz oben.“
Wenn das nicht Flügel verleiht?
(c) Thoni Verlag
Fortsetzung folgt ...
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