Thoni Verlag: Es geht nicht nur um Wörter und Bilder in Ihrem Roman,
sondern auch leibliche Genüsse spielen eine große Rolle ...
Nikola
Hahn: Allerdings. Essen ist etwas
Wunderbares! Und gemeinsam zu essen eines jener Rituale, deren Verschwinden ich
sehr bedaure. Meine Eltern haben beide gearbeitet, aber mindestens eine, oft
zwei Mahlzeiten am Tag, wurden von allen gemeinsam eingenommen, das Frühstück
und das Abendessen. Am Wochenende natürlich auch das Mittagessen. Für ein
gemeinsames Frühstück stehen mein Mann und ich noch heute jeden Morgen extra
eine halbe Stunde früher auf.
Thoni: Um perfekte Eier zu kochen?
N.H. (grinst): Auch, ja. Was zugegebenermaßen nicht immer gelingt. Im
Ernst: Ich finde, es gibt nichts Traurigeres als alleine zu essen. Essen und
Kommunikation gehören für mich unbedingt zusammen. Als Schriftstellerin kann
ich damit natürlich herrlich spielen: Dass der Roman mit einem Frühstück
anfängt und endet, ist ebensowenig ein Zufall wie das Scheitern der perfekt
geplanten Dinners, mit denen Wolfgang Hedi rumzukriegen versucht. Und dass ein
zugelaufener Kater nicht nur den Weihnachtsbraten, sondern für Hedi das ganze
Fest verdirbt, mag für den Leser ein Grund zum Schmunzeln sein, für die
Geschichte ist es nur folgerichtig: Hedis Leben ist längst aus den Fugen.
Thoni: Darf man nach alldem davon ausgehen, dass auch der
Schauplatz der alten Mühle kein zufällig gewählter ist?
N.H.: Abgesehen davon, dass ich eine Vorliebe für alte Gehöfte
und den Odenwald habe, war es für mich in der Tat reizvoll, den, wie Vivienne
es ausdrückt, Antagonismus eines solchen Ortes mit meiner Geschichte zu
verweben. Ich habe mich dabei der Worte Hermann Glasers bedient, die ich
Vivienne in den Mund lege: Die Mühle ist
ein Urbild unserer Existenz, da uns das
Leben in seiner organischen Verbindung fasslich entgegentritt. Sie ist Sehnsucht nach Heimat, Gleichnis des
Doppelten: Topos der Antinomie. Dieses Bild
zu übersetzen in die Schicksale der Menschen, aber auch in die Sprache der
Kunst und Literatur, war für mich als Schriftstellerin eine erfüllende Aufgabe,
die ich jetzt in der Überarbeitung erst so richtig ausleben konnte.
Thoni: Was sich unter anderem in den ausführlichen Quellen- und
Zitatangaben spiegelt.
N.H.: Als recht schwierig erwies es sich, meine in der
Erstfassung versteckten Zitate wiederzufinden, zuzuordnen und sie noch besser
zu pointieren. Ich hätte das gern vor dreizehn Jahren schon so gemacht, aber
damals gelang es mir lediglich, eine eher subtile Anspielung auf mein Sujet
Sprache unterzubringen: meine Zeichnung Worte.
Wahrscheinlich haben sich viele Leser
gefragt, was das bedeuten sollte. (grinst)
Jetzt wissen sie’s. Übrigens stammt
auch diese Zeichnung aus meiner polizeilichen Vergangenheit und ist deshalb,
ebenso wie die doppelgesichtige Prinzessin,
in Die
Startbahn publiziert. Für die eBook-Ausgabe
der Wassermühle habe ich erstmals den Versuch gewagt, meine im Roman
verwendeten Zitate im Anhang nicht nur im Kontext zu belegen, sondern sie auch
zu illustrieren und mit dem Romantext zu verlinken. Wer mag, kann nach dem Ende
der fiktiven Geschichte eine zweite Reise in die Welt der Literatur und Kunst
unternehmen.
Thoni: Sie erzählen aber nicht nur von der Macht der Sprache,
sondern auch von der Bedeutung der Liebe. Ist Die Wassermühle
also in Wahrheit ein Liebesroman?
N.H.: Jein. Der Liebesroman, wie man ihn im Allgemeinen
versteht, ist ja eigentlich kein Roman über die Liebe, sondern über das
Verliebtsein, also die erste Phase auf dem Weg zur Liebe. Erzählt wird in der
Regel, welche Klippen die Protagonisten umschiffen müssen, um sich als Paar zu
finden. Für einen Liebesroman in diesem Sinne ist Die Wassermühle zu
wenig auf die beiden Hauptpersonen fokussiert, also Hedi und Klaus. Ich wollte
mehr als das übliche Schema aus Konflikt, Versöhnung, Wolke sieben. Es ging mir
darum, das Leben von zwei Menschen zu erzählen, die einmal sehr verliebt
ineinander waren, die ihr Schicksal gemeistert, sich dann aber
auseinandergelebt und im Alltag verloren haben. Sie verstehen einander nicht
mehr, hören sich nicht mehr zu, werden im wahrsten Sinne des Wortes sprachlos.
Was bleibt, ist das Gedankenalbum der Erinnerung, traurige, fröhliche und
sehnsuchtsvolle Bilder von gemeinsam Erlebtem, beispielsweise das Lustige Offenbacher Steineraten, mit dem es Klaus einst gelang, seine junge Frau aus
ihrer Depression zu reißen. Als Schriftstellerin spüre ich der Frage nach, was
eigentlich geschehen ist zwischen den beiden, warum es so schwer ist, dass sie
sich wiederfinden, und warum der Alltag für beide plötzlich doch wieder
beglückend ist. Es hat nicht nur mit ihren gemeinsamen Erinnerungen zu tun,
sondern auch mit dem Gefühl der Vertrautheit und der Dankbarkeit einem Menschen
gegenüber, mit dem man lange und, insgesamt gesehen, glücklich und zufrieden
leben durfte. Sicher gehört dazu auch die Erkenntnis, dass niemand perfekt ist,
und dass Liebe etwas damit zu tun hat, den anderen wirklich anzunehmen.
Manchmal genügt es schon, einfach den Blick auf die Dinge zu ändern. Der erste
und (vor-)letzte Satz des Romans zeugen davon.
Thoni: Unter der Überschrift Statt eines Epilogs. Bonbons aus meiner Briefpost haben Sie der Erstausgabe ein Nachwort angehängt, das
auch die wechselvolle Geschichte des Manuskripts nachzeichnet ...
N.H. (schmunzelt): Ja, meine Wassermühle hatte
es nicht leicht. Aber wie ich schon sagte: Es ist fantastisch, was man mit
Sprache alles machen kann. Und wie entlarvend so mancher vorgeblich bedeutsame
Satz klingt, wenn man ihn in einen neuen Zusammenhang stellt. Die positiven
Zitate aus diesem Absagensammelsurium stammen übrigens von dem leider viel zu
früh verstorbenen Verleger Dr. Karl Blessing, der mir die schönste Absage
schrieb, die ich je bekommen habe. Sie schloss mit dem Wunsch, meinem
Manuskript, das leider in das Verlagsprogramm seines damals noch jungen
Verlages nicht hineinpasste, dennoch einmal in gedruckter Form
wiederzubegegnen. Den Wunsch konnte ich ihm erfüllen. Nachdem der Roman vor dreizehn
Jahren erschienen war, habe ich ihm umgehend ein Exemplar zukommen lassen.
Thoni: Er hat es hoffentlich mit Vergnügen gelesen. Vielen Dank für das Gespräch.
Nikola Hahn & Thoni Verlag,
Rödermark, Januar 2013