Thoni Verlag: Die Wassermühle erschien
erstmals im Jahr 2000. Im Januar 2013 haben Sie den Roman im Thoni Verlag als
eBook herausgegeben. Was bedeutet der Zusatz neu bearbeitete und aktualisierte Ausgabe?
Nikola
Hahn: Ursprünglich wollte ich nur die
Rechtschreibung an die neuen Regeln anpassen, aber ich stellte erstaunt fest,
wie sehr sich die Welt in den vergangenen dreizehn Jahren verändert hat. Ich
hatte Die Wassermühle seinerzeit als zeitgenössischen Roman konzipiert, und das
wurde dann mein Anspruch beim Überarbeiten: die Geschichte aus dem Alltag von
heute zu erzählen. Mit einem bisschen Satzkosmetik war es da leider nicht
getan.
Thoni: Das heißt konkret?
N.H.: Dass sich nicht nur gewisse „Modeerscheinungen“ überlebt
haben, sondern vor allem die Kommunikationstechnik mittlerweile erheblichen
Einfluss auf unser Leben nimmt: Telefone standen noch vor einigen Jahren in der
Regel als Festanschluss im Flur oder Wohnzimmer; Handys waren Ende der 1990er
Jahre, als ich an der Urfassung der Wassermühle
schrieb, zwar hier und da genutzte
Zusatzkommunikationsmittel, aber keinesfalls ständiger Begleiter aller
Altersgruppen, wie es inzwischen der Fall ist. Auch das Internet war nicht so
bestimmend wie heute und die Social Media steckten noch in den Anfängen. Es
bedurfte also einiger Überlegungen, meine Geschichte in die Jetztzeit zu
überführen. Dazu gehörten auch so profane Dinge wie das vor einem Jahrzehnt
noch durchgängig übliche Bezahlen per Scheck, die in der Erstfassung noch
munter diskutierte Rechtschreibreform oder das Hochkurbeln von Autoscheiben per
Hand. Auch gewisse Abläufe in der polizeilichen Arbeit musste ich überdenken
und anpassen.
Thoni: Sie haben also tatsächlich ganze Teile des Romans
umgeschrieben?
N.H.:
Sagen wir so: Ich habe darauf geachtet, die
Logik der Geschichte wiederherzustellen. Zum Glück hat Polizist Klaus eine
nervige Mutter, die ihn dazu nötigt, sein Handy öfter mal auszuschalten, wenn
er Ruhe haben will. Und in der alten Mühle im tiefsten Odenwald ist der
Mobilfunkempfang ohnehin bescheiden. Fensterkurbeln gibt es nur noch in Hedis
altersschwachem VW-Bus, und die Beförderungssituation bei der hessischen
Polizei hat sich für Klaus insoweit verbessert, dass er inzwischen schon zu
Beginn des Romans als Oberkommissar Streife fährt. Was wiederum eine Erklärung
nach sich zog, warum ihn der Dienststellenleiter trotzdem nicht leiden kann.
Thoni: Haben Sie die Geschichte darüber hinaus auch inhaltlich
bearbeitet?
N.H.: Hier und da waren Anpassungen nötig, weil der zeitliche
Bezugsrahmen nicht mehr stimmte. So konnte Klaus mit seinen Kindern nicht mehr,
wie noch in der Erstausgabe behauptet, im Foyer des Sheraton-Hotels in
Offenbach Wasserball gespielt haben, weil der Umbau vom Parkbad zum Hotel zu
lange zurücklag, eben in den 1990er Jahren.
Thoni: Jetzt mal ehrlich: Welcher Leser merkt denn das
überhaupt?
N.H. (grinst): Wahrscheinlich
keiner. Aber ich bin ja in allen meinen Büchern sehr akribisch mit der Recherche.
Und wenn ich historisch belegbare Details nenne, sollten sie auch stimmen. Bei
einigen Dingen habe ich mir allerdings bewusst ein bisschen chronologische
Freiheit erlaubt. Den Altbau des Offenbacher Stadtkrankenhauses (das übrigens
auch bald nicht mehr als solches existieren wird, wenn man den
Zeitungsberichten glauben kann) habe ich weiterhin „in Nutzung“, ebenso gewisse
etwas ältere, aber durchaus heute noch neckisch klingende Zeitungsberichte.
Auch der „aus dem Leben gegriffene“ Dialog von Dragan und Alder
von anno 1998 und die malenden Katzen, die in den späten 1990ern eine Zeitlang
durch die Medienlandschaft geisterten und mich zu Kättaat
inspirierten, haben es in die Neuauflage geschafft.
Thoni: Wenn man die alte Printfassung mit der neuen eBook-Variante
vergleicht, fällt auf, dass Sie auch an der Sprache gefeilt und die Dialoge
gestrafft haben.
N.H.: Das war eine Arbeit, die mir besondere Freude gemacht
hat. Die Erstauflage des Romans wurde damals von einer Außenlektorin ohne
Rücksprache mit mir und recht oberflächlich bearbeitet. Es hätten durchaus noch
die einen oder anderen Streichungen und Glättungen vorgenommen werden können.
Das habe ich nun nachgeholt. Andererseits habe ich aber auch Informationen
hinzugefügt, beispielsweise um die Biografien der Protagonisten für den Leser
plastischer zu machen.
Thoni: Es gibt in Ihrem Roman zwei große Erzählstränge: der
eine behandelt die Geschichte von Hedi Winterfeldt, die mit ihrer etwas
überdrehten Freundin Vivienne in eine alte Wassermühle im Odenwald zieht, der
andere das berufliche Leben von Hedis Ehemann Klaus, der als Streifenpolizist
mit seiner jungen Kollegin allerlei Widrigkeiten des polizeilichen
Alltagslebens zu bewältigen hat. Welche der beiden Geschichten war Ihnen
wichtiger zu erzählen?
N.H.: Beide sind mir gleich wichtig. Sowohl die junge
Polizistin Dagmar, mit der Klaus anfangs so seine Schwierigkeiten hat, als auch
die etwas überkandidelte Künstlerin Vivienne, die ein ganz anderes Leben führt
als die berufstätige Mutter und Ehefrau Hedi, sind mehr als bloße Staffage.
Thoni: Vivienne erscheint anfangs als Frau, die ihre Wünsche
ans Leben voll erfüllen konnte. Im Laufe der Geschichte wird aber deutlich,
dass nicht die vom Alltag frustrierte Hedi, sondern die vorgeblich
selbstbestimmte Künstlerin die eigentlich tragische Figur ist.
N.H.: Ja. Für ihre Bilder, die, wie sie sagt, Teil ihrer Seele
sind, bekommt sie keine Anerkennung, und Liebe erfährt sie bestenfalls als
One-Night-Stand. Sie verleugnet nicht nur ihr Alter, sondern auch ihre Ideale.
Nur Hedi, die sich – zu Recht –
über sie aufregt, spürt, dass Vivienne bei allen Lügen, die sie ihr und anderen
auftischt, eines zutiefst ehrlich meint: Malen
ist mein Leben. Aber sie kann dieses Leben
mit niemandem teilen.
Thoni: Sie malen ja auch. Sind das Erfahrungen aus Ihrem
„künstlerischen Ich“?
N.H. (lacht): Nein. Aber die Exaltiertheit, um nicht zu sagen
Blasiertheit gewisser Leute auf die Schippe zu nehmen, die meinen, einen
Alleinanspruch auf die Definition wahrer Kunst zu haben, hat mir schon Spaß
gemacht. Und „der Maler des Lichts“, Claude Monet, ist nicht nur Viviennes,
sondern auch mein großes Vorbild. Vor allem, weil er seinen Garten mit seiner
Kunst zu verbinden wusste. Das Spiel mit dem Licht lebe ich allerdings
vorwiegend fotografierend aus, wobei ich, ähnlich wie Monet, meinen Garten als
Motivspeicher nutze. Bei meinen Zeichnungen bevorzuge ich hingegen die
Abstraktion, experimentiere aber auch mit der Wirkung von Farben. Das Faible
für Farben und ihre Bedeutung in der Kunst und im Leben habe ich also mit Vivienne
gemeinsam. Die von ihr zitierten Werke, insbesondere Kunst der Farbe von
Johannes Itten, stehen seit vielen Jahren in meinem Bücherschrank.
Thoni: Vivienne ist aber auch eine Figur, über deren
Verdrehtheit der Leser herzlich lachen kann. Genauso wie über die Streiche des
wirklich unglaublich ungezogenen Christoph-Sebastian. Gab es diesbezüglich
reale Vorlagen in Ihrem Leben?
N.H.: Christoph-Sebastian hat gleich zwei reale
Entsprechungen, die meinen Mann und mich samt ihrer überforderten Eltern vor
Jahren einmal ein ganzes Wochenende lang heimgesucht haben. Dass mit den bloßen
Händen in die Nudelschüssel gegriffen wurde, war noch das kleinste Malheur. Wir
waren so leichtsinnig, mit ihnen essen zu gehen. Das Restaurant habe ich danach
nie wieder betreten. Wie Hedi im Roman haben mein Mann und ich versucht, den
Blagen wenigstens innerhalb unseres Hauses Grenzen zu setzen. Das Problem waren
allerdings, das muss man ehrlich sagen, weniger die Kinder, sondern die
Unfähigkeit und Gleichgültigkeit ihrer Eltern.
Einige der im
Roman erzählten Anekdoten stammen aus meiner eigenen Kindheit, zum Beispiel der
angriffslustige Hofhahn, der als Mittagessen endete, die Maus samt der Katze im
Federbett oder der „Elfmeter“, bei dem der Schuh in die Dachrinne flog. Der Schütze
war mein Vater, und mein Bruder und ich haben uns gekringelt vor Lachen. Zum
Glück war das Dach unseres Hauses solider als das der Eichmühle, und wir
mussten nur den Schuh wieder herunterholen. Für mich als Schriftstellerin sind
solche Erlebnisse natürlich eine sprichwörtliche Steilvorlage ...
Thoni: Ebenso wie die Erfahrungen einer Polizistin?
N.H.:
Allerdings. Irgendwann, sagte ich, schreibe ich ein Buch über all
das. Bestimmt schmeißen sie mich dann raus.
Das habe ich am 1. Januar 1988 in meinem Tagebuch notiert und in meinem Buch Die Startbahn veröffentlicht.
Damals dachte ich, dass (m)eine Geschichte über die Polizei diese so prägende
Erfahrung der „Startbahnmorde“ beinhalten müsse, die ich 1987 unmittelbar
miterlebte. Ich entschloss mich dann aber, dafür die Form einer Erzählung zu
wählen und den Roman vorwiegend heiter zu verfassen.
Viele Jahre lang
stand auf meinem Schreibtisch ein Kästchen, in dem ich allerlei Kuriositäten
sammelte, die mir im polizeilichen Alltag in die Finger kamen: Anhörbögen,
Strafanzeigen, schriftliche Mitteilungen der Leute an Versicherungen, krude
Formulierungen aus Vermerken und Berichten, Gerichtsurteile. Aber auch
Merk-Würdiges aus der Tagespresse, wie zum Beispiel der Artikel über den zu
intelligenten Polizeibewerber, fand den Weg in meine „Zettelbox“. Nachdem ich
alles rausgestrichen hatte, was irgendwelche Rückschlüsse auf Sache oder
Personen zugelassen hätte, habe ich das Kästchen meinen Protagonisten
übereignet; vor allem Klaus’ Chef Michael Stamm zitiert im Roman mit Vergnügen
daraus. Den glücklichen Türöffnungswinkel aus Kapitel 13, der den armen Klaus beinahe zur
Verzweiflung treibt, habe ich 1992 in voller Länge unter „Kurioses“ in der Hessischen Polizeirundschau
veröffentlicht.
Gespenster
mittels Funkgerät zu vertreiben, sich mit zeternden oder sonstwie seltsamen
Bürgern auseinanderzusetzen, wie es Klaus und Dagmar im Roman tun, all das
gehörte tatsächlich zu den Aufgaben, die ich als junge Streifenpolizistin zu
erledigen hatte. Die Lichtbildvorlage mit dem türkischen Mitbürger, der
lauthals über die Kanaken in Deutschland schimpft, habe ich während meiner Zeit
im Einbruchskommissariat durchgeführt, und Ayse Söngül, die in Wirklichkeit
natürlich anders hieß, hat mir ihre traurige Geschichte, wie im Roman Klaus und
Dagmar, bei einer Ermittlung erzählt. Meinem Zettelkasten und damit dem realen
Leben entnommen ist auch die Strafanzeige jenes Zeitgenossen, den ich im Roman
Dr. Türmann getauft habe, wegen der vorgeblich falsch frankierten
Büchersendung. Die Akte kam als Ermittlungsauftrag der Staatsanwaltschaft ins
Betrugskommissariat, wo ich damals arbeitete. Ich habe deswegen mit meinem Chef
einen Streit vom Zaun gebrochen, weil ich mich veräppelt fühlte. In diese Zeit
fiel auch die Gerichtsverhandlung, die Dagmar im Roman als Einakter aufführt.
Was meine Zeit im Streifenwagen anging, so war sie zwar, auf meine gesamte
Polizeilaufbahn gerechnet, nicht sehr lang, zuweilen aber überaus lustig.
Thoni: Manchmal bleibt einem das Lachen aber auch im Hals
stecken. Die Szene, in der Klaus und seine Kollegin die Todesnachricht
überbringen, geht unter die Haut.
N.H.: Auch das ist ein Teil des polizeilichen Alltags. Wie im
Roman beschrieben, gibt es kein Richtig oder Falsch, und schon gar keine
Patentlösung, wenn man, auf welchen Wegen auch immer, mit dem Tod konfrontiert
wird. Erfahrung und Routine können helfen, aber alle Gefühle vermögen sie nicht
einzufangen. Auch der dienstlich erfahrene Polizist Klaus streift ein solches
Erlebnis nicht einfach mit den Kleidern ab. Vor allem, wenn er noch dazu
private Probleme hat.
Interessante Interview Nikola,
AntwortenLöschenthoni soll auch auf TH. abgekürzt werden.
Logisch wäre es, ja. Aber so ist`s nun mal publiziert :)
LöschenUnd danke fürs Lob :)))