Nervt Sie die Debatte übers Gendern? Ärgern Sie sich, wenn auch Menschen, von denen Sie es nicht gedacht haben, anfangen zu erklären, dass das böse "generische Maskulinum" ja mehr als die Hälfte der Menschheit ausschließe? Dann sind Sie "meine Lieblingsleser" für den ersten Post zur Wiedereröffnung meiner "Schreibstube":
Liebe Bücherwürmer und Leseratten,
mehr als fünf Jahre ist es her, seit ich den letzten Beitrag hier veröffentlichte. Irgendwie war die Luft raus damals, und ich hatte das Gefühl, dass Blogs nicht mehr so angesagt waren. Später habe ich auch längere Pausen in meinen anderen Online-Plattformen eingelegt; das ständige Präsentsein fraß einfach zu viel Zeit. Andererseits vermisste ich den Austausch und natürlich die Möglichkeit, in einem Blog einfach mal ein bisschen frei nach Schnauze schreiben zu können. Damals tat ich das sehr oft aus der Perspektive der Autorin und (Neu-)Verlegerin. In der vergangenen Woche habe ich mich - nach langem Weigern - entschlossen, auch auf Instagram ein Profil einzurichten, und by the way habe ich mich an meinen alten Blog erinnert, und wie sehr er mir eigentlich fehlt. Weder Facebook noch Instagram können das ersetzen. Ich stöberte in meinen alten Einträgen und bekam plötzlich Lust, neu zu starten. Ich habe also ein bisschen Staub gewischt und ausgekehrt - und hier bin ich wieder! Allerdings möchte künftig lieber aus der Perspektive des Lesers schreiben; ich selbst bin ja leidenschaftliche Leserin, aber vor allem schreibe ich für Leserinnen und Leser. So viele nette Briefe und - früher gab's das ja mal - Gästebucheinträge habe ich von Ihnen und Euch bekommen! Und so schwer mache ich es Ihnen ... weil ich so eine schreckliche Tante bin, die sich weigert, in Schubladen zu schreiben.
Doch der Aufhänger für diesen Beitrag heute sind nicht die Schubladen, sondern mein Ärger, dass mir für den Neustart dieses Blogs so ein hübscher Satz einfiel, und dass ich drauf und dran war, ihn zu verwerfen ... Ich habe mich dabei ertappt, dass ich anfange, mir selbst mit der Sprachschere im Hirn herumzuschnipseln. Sie ahnen es, und schließlich steht es in der Überschrift! Ich habe das Gefühl, dass sich "Gendern" ausbreitet wie eine Krake.
Geht nicht!, sagte das Tierchen böse grinsend, als ich mein Motto anschaute: "Posts für meine Lieblingsleser"?! Wer da alles wieder nicht mitgemeint ist, ogottogott! Und dann muss ich ja auch noch eingestehen, dass die Mehrzahl meiner Leser Frauen sind. Den Satz habe ich jetzt mit voller Absicht hingeschrieben, denn er zeigt, wie gaga das alles ist. Wäre "Leser" nur männlich, wäre die Behauptung absurd. Abgesehen davon, dass in Zukunft solcherart Sprache auf dem Index stünde, setzte sich die Genderei durch. Auch andersherum funktioniert es nicht: die meisten meiner Leserinnen sind Frauen. Ja, was denn sonst? Dieser Satz ist, nähme ich Gendern ernst, so unsinnig wie weiße Schimmel und schwarze Rappen. Aber ganz ehrlich: Ich habe nicht mal ein Problem mit dem Gendern an sich - ich mag es nicht, aber wer es mag: bitte schön. Was das Ganze aber so schlimm und gefährlich macht, ist das Diktatorisch-Moralische, das diesem vorgeblich nur der guten Sache dienenden "Instrument für Geschlechtergerechtigkeit" innewohnt.
Das ist mir gerade am Wochenende wieder so richtig deutlich geworden. Ich habe ein Buch übers Texten gelesen (Daniela Rorig (2020): Texten können. Das neue Handbuch für Marketer, Texter und Redakteure", 3. Auflage, Rheinwerk Verlag, Bonn), ein richtig gutes Buch, wie ich sagen muss. Inhalt, Aufmachung, alles top, und spannend dazu. Ich las also ziemlich begeistert bis Kapitel 7 (Was ist ein guter Schreibstil?) und dann kam der Sturz von der Klippe. Erst beschreibt die Autorin, dass sie noch bis vor ein paar Monaten die Genderei affig fand, und dann: Nein, das werde kein Plädoyer dagegen, denn sie habe ihre Meinung ja inzwischen geändert. Es folgen die üblichen "Argumente" des Nichtmitgemeintseins der vielen Stimmen aus dem Netz. Eben: Aus dem Netz. Gegen alle diese "Argumente" gibt es gute Gegenargumente, vor allem die angeblichen Assoziationsstudien, die "beweisen", dass Frauen mit gewissen Begriffen nicht mitgemeint seien, stehen, was wissenschaftliche Methodik angeht, in der Kritik. Es fiele nicht schwer, Pro und Contra im Netz zusammenzutragen.
Wieder eine, die auf den Kram reinfällt, dachte ich enttäuscht. Wieder so eine, die jetzt MICH nicht mehr mitmeint, und all die vielen, Frauen wie Männer, die Gendersprache ablehnen. Ich habe rein sprachliche Gründe, warum ich diese Verrenkungen und Verbiegungen nicht mag. Aber ich spreche niemandem, der das anders sieht, die moralisch-ethische Integrität ab. Genau das aber tun die Genderbefürworter, genau das tut auch Frau Rorig, wenn sie schreibt, sie habe erkannt: Es ist so, wie die das im Netz sagen. Und dann zieht sie die Schlussfolgerung, dass sie nur durch Befolgen der neuen Regeln jetzt ja alle mitmeine. Ab jetzt gehört sie wieder zu den Guten.
Finde den Fehler!
Kurzum: Wer gendern will, soll es tun. Aber gerade von jemandem, der übers gute Texten schreibt, erwarte ich, dass diese Argumentationsfallen erkannt werden. Nur weil irgendjemand (übrigens nach korrektem Genderdeutsch auch nicht mehr zu verwenden) glaubt, nicht mitgemeint zu sein, muss das ja nicht stimmen. Aber je mehr Menschen das als Wahrheit nehmen, ohne diese "Netzstimmen" und deren vorgeblich wissenschaftliche Argumente zu hinterfragen, umso stärker wird der Druck auf jene werden, die sich dem entgegenstellen. Sie haben es eben noch nicht begriffen, sie meinen in ihrer gestrigen verstaubten Sprache eben nicht alle mit - und irgendwann wird das einfach mit Ausrufezeichen geschrieben und zum Fakt erklärt.
Was ich mir gewünscht hätte, wäre eine objektive Analyse oder, meinetwegen, auch ein subjektives Bekenntnis zum Gendern, weil es Spaß mache, mal was Neues auszuprobieren, oder, mit einem Augenzwinkern: Liebe Leser, habt Ihr's gemerkt? Ich habe in Kapitel 1 angefangen, einfach mal andere Wörter zu benutzen. Also hier jetzt mein Rat in Sachen Gendern ... So was in der Art. Aber nicht, dass sie eingesehen habe, dass Frauen (und Transpersonen etc.) nicht mitgemeint seien. Doch, das sind sie! Und wenn man mal ganz genau ist, dann sind die von der Autorin gewählten "sanften Varianten", z. B. abwechselnd Männer und Frauen zu nennen oder "neutrale Begriffe" (wie ärztliche Empfehlung statt "Ärzte empfehlen") zu nutzen, noch viel weniger dazu geeignet, alle mitzumeinen, Beim ersten Versuch bleiben nur Männer und Frauen, beim zweiten verschwindet der Mensch gleich ganz. Kurzum und als Fazit: Es gibt gute Gründe zu schreiben, wie man schreibt. (Man geht übrigens auch nicht mehr). Jeder soll nach seiner Fasson selig werden, und wenn dereinst eine breite Mehrheit meint, dass gegendert werden müsse, dann ist das eben so. Dann käme es durch den Dauergebrauch einer Sprachmehrheit, nicht von einer ideologisch beseelten Minderheit, die meint, mich moralisch unter Druck setzen zu dürfen, weil ich meine Posts für Lieblingsleser (männlich, weiblich, divers, ja, da ist alles drin) schreibe.
Ich gebe zu: Nach Kapitel 7 hat meine Lust aufs Weiterlesen einen Knacks bekommen. Und ich habe mich ertappt zu zählen, wie oft die Autorin gegen die hehren Genderregeln verstoßen hat. Das Problem ist nämlich, dass sie mit der Akzeptanz der "Moralkeule als Argument" eine Tür mehr geöffnet hat, durch die wir Schreibwerker irgendwann nicht mehr zurückkommen, ohne uns erst mal ellenlang zu rechtfertigen, warum wir NICHT gendern. Und zwar "richtig", und nicht mehr so halbgar wie Frau Rorig. Sowas werden die neuen Sprachhüter, wenn sie sich durchgesetzt haben, nämlich bestenfalls als "Brückenlösung" akzeptieren, um's mal mit einer aktuellen Vokabel zu beschreiben.
Bis hoffentlich bald!