Montag, 12. April 2021

Gendergaga, oder: Der Wahnsinn hat leider Methode.

Nervt Sie die Debatte übers Gendern? Ärgern Sie sich, wenn auch Menschen, von denen Sie es nicht gedacht haben, anfangen zu erklären, dass das böse "generische Maskulinum" ja mehr als die Hälfte der Menschheit ausschließe? Dann sind Sie "meine Lieblingsleser" für den ersten Post zur Wiedereröffnung meiner "Schreibstube": 

Liebe Bücherwürmer und Leseratten, 

mehr als fünf Jahre ist es her, seit ich den letzten Beitrag hier veröffentlichte. Irgendwie war die Luft raus damals, und ich hatte das Gefühl, dass Blogs nicht mehr so angesagt waren. Später habe ich auch längere Pausen in meinen anderen Online-Plattformen eingelegt; das ständige Präsentsein fraß einfach zu viel Zeit. Andererseits vermisste ich den Austausch und natürlich die Möglichkeit, in einem Blog einfach mal ein bisschen frei nach Schnauze schreiben zu können. Damals tat ich das sehr oft aus der Perspektive der Autorin und (Neu-)Verlegerin. In der vergangenen Woche habe ich mich - nach langem Weigern - entschlossen, auch auf Instagram ein Profil einzurichten, und by the way habe ich mich an meinen alten Blog erinnert, und wie sehr er mir eigentlich fehlt. Weder Facebook noch Instagram können das ersetzen. Ich stöberte in meinen alten Einträgen und bekam plötzlich Lust, neu zu starten. Ich habe also ein bisschen Staub gewischt und ausgekehrt - und hier bin ich wieder! Allerdings möchte künftig lieber aus der Perspektive des Lesers schreiben; ich selbst bin ja leidenschaftliche Leserin, aber vor allem schreibe ich für Leserinnen und Leser. So viele nette Briefe und - früher gab's das ja mal - Gästebucheinträge habe ich von Ihnen und Euch bekommen! Und so schwer mache ich es Ihnen ... weil ich so eine schreckliche Tante bin, die sich weigert, in Schubladen zu schreiben. 

Doch der Aufhänger für diesen Beitrag heute sind nicht die Schubladen, sondern mein Ärger, dass mir für den Neustart dieses Blogs so ein hübscher Satz einfiel, und dass ich drauf und dran war, ihn zu verwerfen ... Ich habe mich dabei ertappt, dass ich anfange, mir selbst mit der Sprachschere im Hirn herumzuschnipseln. Sie ahnen es, und schließlich steht es in der Überschrift! Ich habe das Gefühl, dass sich "Gendern" ausbreitet wie eine Krake.

Geht nicht!, sagte das Tierchen böse grinsend, als ich mein Motto anschaute: "Posts für meine Lieblingsleser"?! Wer da alles wieder nicht mitgemeint ist, ogottogott! Und dann muss ich ja auch noch eingestehen, dass die Mehrzahl meiner Leser Frauen sind. Den Satz habe ich jetzt mit voller Absicht hingeschrieben, denn er zeigt, wie gaga das alles ist. Wäre "Leser" nur männlich, wäre die Behauptung absurd. Abgesehen davon, dass in Zukunft solcherart Sprache auf dem Index stünde, setzte sich die Genderei durch. Auch andersherum funktioniert es nicht: die meisten meiner Leserinnen sind Frauen. Ja, was denn sonst? Dieser Satz ist, nähme ich Gendern ernst, so unsinnig wie weiße Schimmel und schwarze Rappen. Aber ganz ehrlich: Ich habe nicht mal ein Problem mit dem Gendern an sich - ich mag es nicht, aber wer es mag: bitte schön. Was das Ganze aber so schlimm und gefährlich macht, ist das Diktatorisch-Moralische, das diesem vorgeblich nur der guten Sache dienenden "Instrument für Geschlechtergerechtigkeit" innewohnt. 

Das ist mir gerade am Wochenende wieder so richtig deutlich geworden. Ich habe ein Buch übers Texten gelesen (Daniela Rorig (2020): Texten können. Das neue Handbuch für Marketer, Texter und Redakteure", 3. Auflage, Rheinwerk Verlag, Bonn), ein richtig gutes Buch, wie ich sagen muss. Inhalt, Aufmachung, alles top, und spannend dazu. Ich las also ziemlich begeistert bis Kapitel 7 (Was ist ein guter Schreibstil?) und dann kam der Sturz von der Klippe. Erst beschreibt die Autorin, dass sie noch bis vor ein paar Monaten die Genderei affig fand, und dann: Nein, das werde kein Plädoyer dagegen, denn sie habe ihre Meinung ja inzwischen geändert. Es folgen die üblichen "Argumente" des Nichtmitgemeintseins der vielen Stimmen aus dem Netz. Eben: Aus dem Netz. Gegen alle diese "Argumente" gibt es gute Gegenargumente, vor allem die angeblichen Assoziationsstudien, die "beweisen", dass Frauen mit gewissen Begriffen nicht mitgemeint seien, stehen, was wissenschaftliche Methodik angeht, in der Kritik. Es fiele nicht schwer, Pro und Contra im Netz zusammenzutragen.

Wieder eine, die auf den Kram reinfällt, dachte ich enttäuscht. Wieder so eine, die jetzt MICH nicht mehr mitmeint, und all die vielen, Frauen wie Männer, die Gendersprache ablehnen. Ich habe rein sprachliche Gründe, warum ich diese Verrenkungen und Verbiegungen nicht mag. Aber ich spreche niemandem, der das anders sieht, die moralisch-ethische Integrität ab. Genau das aber tun die Genderbefürworter, genau das tut auch Frau Rorig, wenn sie schreibt, sie habe erkannt: Es ist so, wie die das im Netz sagen. Und dann zieht sie die Schlussfolgerung, dass sie nur durch Befolgen der neuen Regeln jetzt ja alle mitmeine. Ab jetzt gehört sie wieder zu den Guten.  

Finde den Fehler! 

Kurzum: Wer gendern will, soll es tun. Aber gerade von jemandem, der übers gute Texten schreibt, erwarte ich, dass diese Argumentationsfallen erkannt werden. Nur weil irgendjemand (übrigens nach korrektem Genderdeutsch auch nicht mehr zu verwenden) glaubt, nicht mitgemeint zu sein, muss das ja nicht stimmen. Aber je mehr Menschen das als Wahrheit nehmen, ohne diese "Netzstimmen" und deren vorgeblich wissenschaftliche Argumente zu hinterfragen, umso stärker wird der Druck auf jene werden, die sich dem entgegenstellen. Sie haben es eben noch nicht begriffen, sie meinen in ihrer gestrigen verstaubten Sprache eben nicht alle mit - und irgendwann wird das einfach mit Ausrufezeichen geschrieben und zum Fakt erklärt. 

Was ich mir gewünscht hätte, wäre eine objektive Analyse oder, meinetwegen, auch ein subjektives Bekenntnis zum Gendern, weil es Spaß mache, mal was Neues auszuprobieren, oder, mit einem Augenzwinkern: Liebe Leser, habt Ihr's gemerkt? Ich habe in Kapitel 1 angefangen, einfach mal andere Wörter zu benutzen. Also hier jetzt mein Rat in Sachen Gendern ... So was in der Art. Aber nicht, dass sie eingesehen habe, dass Frauen (und Transpersonen etc.) nicht mitgemeint seien. Doch, das sind sie! Und wenn man mal ganz genau ist, dann sind die von der Autorin gewählten "sanften Varianten", z. B. abwechselnd Männer und Frauen zu nennen oder "neutrale Begriffe" (wie ärztliche Empfehlung statt "Ärzte empfehlen") zu nutzen, noch viel weniger dazu geeignet, alle mitzumeinen, Beim ersten Versuch bleiben nur Männer und Frauen, beim zweiten verschwindet der Mensch gleich ganz. Kurzum und als Fazit: Es gibt gute Gründe zu schreiben, wie man schreibt. (Man geht übrigens auch nicht mehr). Jeder soll nach seiner Fasson selig werden, und wenn dereinst eine breite Mehrheit meint, dass gegendert werden müsse, dann ist das eben so. Dann käme es durch den Dauergebrauch einer Sprachmehrheit, nicht von einer ideologisch beseelten Minderheit, die meint, mich moralisch unter Druck setzen zu dürfen, weil ich meine Posts für  Lieblingsleser (männlich, weiblich, divers, ja, da ist alles drin) schreibe. 

Ich gebe zu: Nach Kapitel 7 hat meine Lust aufs Weiterlesen einen Knacks bekommen. Und ich habe mich ertappt zu zählen, wie oft die Autorin gegen die hehren Genderregeln verstoßen hat. Das Problem ist nämlich, dass sie mit der Akzeptanz der "Moralkeule als Argument" eine Tür mehr geöffnet hat, durch die wir Schreibwerker irgendwann nicht mehr zurückkommen, ohne uns erst mal ellenlang zu rechtfertigen, warum wir NICHT gendern. Und zwar "richtig", und nicht mehr so halbgar wie Frau Rorig. Sowas werden die neuen Sprachhüter, wenn sie sich durchgesetzt haben, nämlich bestenfalls als "Brückenlösung" akzeptieren, um's mal mit einer aktuellen Vokabel zu beschreiben. 

Bis hoffentlich bald!

Donnerstag, 31. Dezember 2015

Abgesang

Natürlich macht man sich als Autor Gedanken, natürlich will man als Autor für seine Leser schreiben. Manchen Autoren genügt dieses Schreiben nur für den Leser; sie richten sich ganz und gar auf "ihre" Leser ein, sondieren Trends, sortieren sich schon vor dem Schreiben selbst und ihre Geschichten in Genres ein - oder sie werden (vom Verlag, von Agenten und anderen "Büchermachern" und -vermarktern) in passende Schubladen gesteckt. Dagegen ist nichts zu sagen, wenn man "nur" unterhalten will, und tatsächlich sind damit viele zufrieden: Autoren, weil Serien und nach Schema F schreiben eine relativ sichere Bank sind und das Handwerkliche irgendwann flott von der Hand geht, und/oder weil genau DAS ihre Vorstellung vom Schreiben ist; Verlage, die gern in Schubladen denken, Leser, die ihre Helden lieben und gar nicht schnell genug neues Lesefutter mit alten Zutaten kriegen können, Buchhändler, die sofort wissen, auf welchen Stapel und in welche Regalecke sie das neue Werk einsortieren können, wenn sie es überhaupt ordern. 
 
Ich gebe zu, dass mir das nie genügt hat: Altmodisch mag das klingen, aber ich möchte meinen Lesern "mehr" mitgeben als nur ein Wörterfastfood für den schnellen Hunger zwischendurch. Ich möchte mir erlauben können, hier und da vom Weg ein wenig abzuweichen, auch mal eine schiefe Kurve zu laufen, mit der Sprache zu spielen, Genregrenzen zu missachten, ohne dass ich gleich als "literarisch anspruchsvoll" gelten will oder muss. Gott, ja: Ich gehöre tatsächlich zu dieser sperrigen Spezies von Geschichtenerzählern, die eine Botschaft vermitteln will. Igittigitt, eine Botschaft, und das in den Niederungen der Alltags-bloß-Unterhaltung-mehr-will-ich-nicht-Literatur! Lachen tun sie hier wie da. Die "Unterhalter" herablassend bis sarkastisch: "Wenn Du gelesen werden willst, musst du dich an deine Leser anpassen. Schreiben, was der Markt verlangt." Und was der Markt will und ist, das sagen mir all die klugen Leute, die es ja auch manchmal tatsächlich besser wissen, wenn ich denn die Prämissen anlegte, die sie anlegen. Und die anderen, die hehren Bewahrer und Schützer der Kulturnation? Da klingt das Lachen eher wie der Wind im Wald vor der letzten großen Schlacht im  "Herr der Ringe". Danach Kopfschütteln und dem naiven Schreiberling mal zeigen, was eine Harke ist. Ein Text, den Leser mit Normal-IQ auf Anhieb verstehen, und noch schlimmer, den sie gut und (Igittigitt zum Zweiten!) spannend finden, ist schon aus Prinzip keine Literatur!
 
Da sitze ich nun zwischen meinen beiden Stühlen und gucke irritiert. So war das immer, und ich glaube, es wird sich auch künftig nicht ändern. Was sich gleichwohl geändert hat, sind die Möglichkeiten, die Autoren mittlerweile offenstehen. Seit man das Eigenverlegen in Englisch kommuniziert, nehmen sogar ausgewachsene Verlagsleute und sonstige ernstzunehmende Büchermacher dieses Nogo in den Mund, ohne dabei rot zu werden. Das zaubert jemandem wie mir ein Lächeln ins Gesicht: Habe ich es doch schon in meinem Hauptberuf bei der Kriminalpolizei gelernt, die Farben in der Welt zu sehen und nicht das Schwarzweiß, das gerne darüber gepinselt wird. Wenn es hier und dort Leser gibt, die genau diese "Ecken und Kanten" meiner nicht genrekonformen Bücher entdecken und (positiv) kritisieren - dann ist das für mich ein Geschenk.
 
Heute habe ich wieder eines bekommen. Danke dafür. Ihr seht mich mit einem seligen Lächeln ins neue Jahr entschweben - sobald wir alle gut gerutscht und gelandet sind, geht es selbstverständlich mit der Arbeit weiter. Ich freue mich darauf.

Das Leser-Geschenk ...
Und noch mehr davon bei den "Schneeglöckchenmalern", einer inspirierenden, kreativen und schönen Lese- und Malrunde bei Lovelybooks.
 
 

Freitag, 18. Dezember 2015

Für wie dumm halten Verlage eigentlich Leser?

Eine provozierende Frage, gewiss! In den branchentypischen Medien wird viel über die Zukunft des (gedruckten) Buches, der Verlage, der Buchhändler geschrieben, es wird bis zum Abwinken debattiert über das Für und Wider von Selfpublishing, über dies und das. "Der" Leser kommt in diesen Diskussionen auch vor, gewiss: Als Konsument, der möglichst oft und viel "Buchcontent" kaufen soll. Dass man bei all dem Optimierungswahn in Bezug auf Äußerlichkeiten, Genrekompatibilität und Bestsellermarketing eine womöglich lohnende Zielgruppe außer Acht lässt, die früher das Fundament vieler Verlage bildete, gerät aus dem Fokus. Aber es gibt tatsächlich nach wie vor Leser, die an ihre Lektüre einen gewissen sprachlichen und inhaltlichen Anspruch stellen, auch wenn es "nur" Unterhaltung ist!


Wer ehrlich sondiert, was selbst alteingesessene Verlage alljährlich an schlecht lektorierter Massenware auf den Markt werfen, sollte langsam von dem hohen Ross derer steigen, die den Untergang des Abendlandes nur in dem Fakt sehen, dass digital affine Autoren heute diese Massenware auch ohne Verlag anbieten (können). Statt mit ihren traditionellen Vorzügen zu punkten (professionelles Lektorat und Korrektorat, Entwicklung von Autoren und Stoffen), outsourcen und verschleudern Verlage diese Alleinstellungsmerkmale, indem sie ihre Lektoren zu Contentmanagern degradieren und vielversprechende junge Autoren, die das Pech haben, zu früh einen Bestseller zu landen, Stoff nach immer dem gleichen Muster abverlangen, statt ihnen die Zeit zu geben, sich zu entwickeln. Und die sogenannten Midlist-Autoren werden erst gar nicht (mehr) ins Kalkül gezogen, wenn es ums Aufstellen von Marketing-Plänen geht. Stattdessen sehen sie sich zunehmend gefordert, selbst aktiv zu werden, um ihre im Verlag teilweise zwangsgemainstreamten Bücher unter die Leute zu bringen.


Wer das nicht glauben mag, dem empfehle ich den Besuch einschlägiger Autorenforen und die Lektüre von Leserrezensionen, deren Verfasser zwar brav den neuesten Band von Autor/in xy gekauft und gelesen haben, aber, sofern sie einen Leseanspruch haben, der über Groschenromanniveau hinaus geht, spätestens bei Fortsetzung Nummer drei des angesagten Autors bemängeln, dass es immer die gleiche Suppe ist, keine Entwicklung stattfindet. Und was diese Leser über die sprachliche Umsetzung des einen oder anderen hochgelobten (Verlags-)Werkes schreiben, sollte professionellen Büchermachern die Schamesröte ins Gesicht treiben. Ebenso wie der Umstand, dass im Satz (auch!) von Verlagsbüchern selbst einfachste Regeln missachtet werden. (Was, bitte, ist noch mal ein Schusterjunge?)


Und angesichts all dessen wundert man sich in der sogenannten etablierten Buchbranche tatsächlich, dass Autoren zunehmend den Weg in die "Selbstständigkeit" gehen und Mainstreamleser ebenso zunehmend die Angebote der (günstigen) "Außerverlagsprodukte" nutzen, frei nach dem Motto: Wenn schon schlecht gesetzt und lektoriert, dann wenigstens zu meinen Konditionen (Autoren) und möglichst billig (Leser)? Was im Übrigen zumindest im ersten Teil häufig ein Vorurteil ist, weil professionelle Autoren und professionelle Lektoren und ebensolche Layouter inzwischen auch ohne Hilfe von (traditionellen) Verlagen zusammenfinden.


Last not least: Leser, die gern mal was anderes lesen möchten, die neugierig sind auf neue Stoffe und Autoren, die Wert auf Sprache legen, vermögen zwar in der Regel keine Megabestseller zu generieren, aber sie sind eine dankbare Zielgruppe, die ihre "Lieblingsbücher" gerne auch über die Halbwertszeit von drei Monaten weiterempfiehlt und sie auch noch Jahre später zu Weihnachten an Gleichgesinnte verschenkt. Diese Leser zu finden und an die eigene Marke zu binden, wäre doch mal eine lohnende Investition.


Zu diesem Eintrag bin ich inspiriert worden durch den Artikel von Porter Anderson, Die Mauer muss weg, im Buchreport-Blog von heute. Das Ehrlichste, was ich seit Langem zum Thema eBook, Digitalisierung und Verlage gelesen habe! Dem Autor hinzuzufügen wäre noch, dass nicht nur die Mauern zwischen Digital und Print, sondern auch die zwischen "Selfpublishing" und "Verlags-Publishing" eingerissen gehören. Wie Porter Anderson sehe ich das Problem nicht in der Art der Publikation, sondern im gebotenen Content und in der Qualität.
 Link zum Artikel


Und das habe ich im Nachhinein dann auch noch entdeckt - passt wie die berühmte Faust aufs Auge: Wie Selfpublishing die Lektoren-Zunft verändert, Verlage und freie Lektoren – passt das (noch) zusammen? - Link -


Dienstag, 2. Juni 2015

Bücher verlegen jenseits der Massenpfade? Du bist ja bekloppt!


Ich glaube, dass es schon immer Autoren gab, die Freude am Layouten hatten, denen es Vergnügen machte, nicht nur eine Geschichte zu schreiben, sondern sie auch nach ihren Vorstellungen zu "verpacken". Sicher, die Mehrheit war das noch nie. Dass sich in Zeiten des "Selfpublishing" langsam die Einsicht durchzusetzen scheint, das eine tun zu können und das andere nicht mehr lassen zu müssen, ist immerhin eine hoffnungsfrohe Entwicklung.

Als ich vor fast drei Jahren den Thoni Verlag gründete, erklärten mich alle für bekloppt. Klar, ich hatte einen ziemlich guten Vertrag bei einem großen Publikumsverlag, die Auflage meiner Romane ging in die Hunderttausende - auf den ersten Blick eine Erfolgsstory. Und das alles wollte ich aufs Spiel setzen? Aber war mein Schreiben eigentlich noch das, was ich mir einst gewünscht hatte als Schriftstellerin: Geschichten zu erzählen, die es mich drängte, zu erzählen? Wollte ich tatsächlich immer die gleiche Suppe anrühren, weil sie den Lesern vorgeblich so gut schmeckte, endlose Diskussionen über Dinge führen, die für mich unverzichtbar, aber für "die" Leser angeblich nicht wichtig waren? Übers Cover, den "richtigen" Titel, über Figuren, die zu kompliziert, zu negativ, zu literarisch, zu philosophisch waren und noch dazu die fürs ideale Cover falsche Haarfarbe hatten? Nein, wollte ich nicht.

Noch nie war es so einfach, sich verlegerisch auf eigene Füße zu stellen - wenn man denn die Herausforderung annimmt und sich den Aufgaben stellt, die das Verlegen nun mal mit sich bringt. Für mich waren eine Gewerbeanmeldung, die Verfügbarkeit im Barsortiment und die Pflege meiner Daten im VLB genauso wichtig wie das Kümmern ums "Digitale", die Sichtbarkeit in den Social Media, Verlagswebsite, Blogs, Newsletter. 

eBook oder Print - das ist und war für mich nie bloß eine Frage des Geschmacks; beides halte ich für unverzichtbar. Obwohl ich mit "e" startete, stand "p" von Anfang an auf der Agenda. Nach drei Jahren (und ziemlich viel Arbeit) kann ich jedenfalls sagen, dass sich Bücher auch jenseits der Massenpfade profitabel verkaufen lassen, und dass die "Holzklasse" daran einen erfreulich hohen Anteil hat. Bis heute verzichte ich auf das Endkundengeschäft, d. h. meine Bücher werden nur über Buchhandlungen oder Amazon verkauft; die eBooks laufen (mit Ausnahme der KDP-Ausgaben) über Distributoren. Als Verlag hat man nämlich nicht nur die Möglichkeit, kostengünstig an ISBN-Nummern zu kommen, sondern kann auch Angebote für professionelles Print on Demand nutzen, wie ich es beispielsweise mit dem Barsortimenter KNV tue. Außerdem erscheinen die Bücher auch in den Amazon-Shops unter dem Verlagslabel.

Natürlich setzt ein solches Vorgehen die intensive Auseinandersetzung mit den Aufgaben eines Verlegers voraus, vor allem, wenn man (wie ich) auch für die Druckvorlagen verantwortlich zeichnet. Das kostet viel Zeit, ist aber auch auf eine wunderbare Weise kreativ! Fragte man mich heute, ob ich meinen Schritt in die "doppelte Selbstständigkeit" bereut habe, kann ich klar mit NEIN antworten. Schon nach einem knappen Jahr war der Verlag in den schwarzen Zahlen. Unlängst habe ich sogar einen Übersetzungsvertrag für meinen Roman "Der Garten der alten Dame" abgeschlossen, und ich hoffe, dass das Buch rechtzeitig zum Weihnachtsgeschäft vor allem auch in England verfügbar sein wird, wo es sich jetzt schon in der deutschen Ausgabe recht ansehnlich verkauft.  

Ein Manko, mit dem sich allerdings jeder kleine Verlag herumschlägt, ist die mangelnde Sichtbarkeit im großen Getriebe des Buchmarktes und die durchaus zähe Akzeptanz im stationären Buchhandel. Dass sich die Grenzen zwischen Verlagsautoren, Selfpublishern, aber auch Klein(st)verlegern immer mehr verwischen, führt natürlich auch dazu, dass es zunehmend schwieriger wird, jenseits der beliebten und massentauglichen "Genreliteratur" Leser und Bücher zusammenzubringen.
Wie oft habe ich es als Leser schon bedauert, dass ich nur durch Zufall auf wunderbare (weil für meine Bedürfnisse passende) Lektüre stieß! Aber wer weiß, welche kreativen Ideen da in Zukunft noch ausgebrütet werden ... Ich bleibe Optimist.
 
Zum Schluss ein kleiner Einblick ins aktuelle Verlagsgeschäft :)

"Krimis zur Kriminalistik": Unter diesem Label erscheinen meine überarbeiteten und neu editierten historischen Krimis 
 

Die Spitzentitel: Krimis und der poetische Roman "Der Garten der alten Dame" in vier Ausgaben

Mit Worten Bilder malen ... Geschenkbücher aus dem Thoni Verlag

Bücher jenseits der Pfade ... (Die kriminalistischen Spaziergänge (rechts) erscheinen im Laufe dieses Jahres)

Buchmesse Frankfurt - Fotografische Inspiration ...
 
Gewinnspiele, Aktionen und Neues aus dem Verlag und von der Autorin gibt`s im Newsletter.

... und hier ist der sehr lesenswerte Artikel von Matthias Mattig, der mich zu meinem Kommentar inspiriert hat.  

Freitag, 29. Mai 2015

Tropfen reicht nicht, Blut muss spritzen!

Na, lieber Leser, was haben Sie, was hast Du mit dem Klick auf diesen Post erwartet? Vielleicht das, was in der Überschrift steht? Tja, damit sind wir mitten im Thema:
 

Wettkampf der Grausamkeit

"Wieso werden Thriller immer brutaler? Krimispezialistin Miriam Semrau hat genug von den Gewaltorgien. Sie fordert Spannung statt Schlachtplatte."

Weil ich "Krimimimi" gut finde, und den Artikel richtig, richtig gut, musste ich meinen Senf dazu abgeben:

Das spricht mir aus dem Herzen! Als Krimiautorin UND Kriminalkommissarin. Die Kunst, einen spannenden Krimi zu schreiben (oder auch filmisch in Szene zu setzen), besteht eben genau darin, das Kopfkino des Lesers/Zuschauers in Gang zu setzen. Dazu benötigt man Zeit: für Recherche, für die sprachliche/filmische Umsetzung, für die Kreativität und die Kunst, aus der Wirklichkeit eine Geschichte in die Fiktion zu übersetzen, so dass der Leser/Zuschauer glaubt, es sei die Wirklichkeit. Natürlich ist ein "realer Tatort" eines Tötungsdelikts alles andere als "hübsch anzusehen", aber genauso gut sind die nachfolgenden Ermittlungen in der Regel aufwendig, umfangreich, und, übersetzte man das in einen Roman, mit viel "Langeweile" verbunden. DAS wird ja im Krimi auch nicht eins zu eins abgebildet. Abgesehen davon, dass Mordfälle/Tötungsdelikte eben in der Regel NICHT von durchgeknallten Serienmördern begangen werden, die Menschen genüsslich in Einzelteile zerlegen. Auch schießen sich Kriminalbeamte in der Regel nicht den Weg für Ermittlungen frei. Warum also die überbordende Gewalt?

Wie so oft muss das Argument herhalten, die Leser wollten das so. Selbst wenn: Wer zwingt mich als Autor, dem nachzukommen? Damit meine ich nicht, dass solche Darstellungen im Einzelfall durchaus mit der Geschichte konform gehen können, also erzählerisch gerechtfertigt sind. Aber wenn Gewalt nur als billiger Effekt im Sinne "Viel hilft viel" eingesetzt wird, habe ich ein Problem damit.

... Hier geht`s zum Artikel

... und hier zur "Krimimimi"

Sonntag, 3. Mai 2015

Von grün bis gruselig

... Was sollte Krimiautorinnen und -autoren auch anderes zum Thema Garten einfallen?

Unterhaltsame Tipps für Garten, Balkon und Blumentopf – meist nützlich, manchmal schräg und mit einem Augenzwinkern erteilt – von Autorinnen und Autoren, die auch Krimis schreiben. Der aufgerundete Brutto-Erlös dieses E-Books wird wechselnden Tierhilfe-Projekten gespendet, im ersten Jahr dem Albert-Schweitzer-Tierheim in Essen.

Ich habe bei diesem Benefiz-Projekt gern mitgemacht und wünsche dem Buch natürlich viele, viele Leser und Leserinnen! Mitgemacht haben auch: Almuth Heuner, Andrea C. Busch, Anne Chaplet, Annette von Droste-Hülshoff, Anonymus, Arnd Federspiel, Barbara Wendelken, Beatrix Kramlovsky, Daniel Raifura, Elsemarie Maletzke, Eva Maaser, Gabi Neumayer, Gabriele Keiser, Gesine Schulz, Gi...tta Edelmann, H.P. Karr, Hagemann & Stitz, Ina Coelen, Ingrid Glomp, Ingrid Schmitz, Jürgen Ehlers, Jürgen Kehrer, Jutta Profijt, Klaus Stickelbroeck, Martina K. Schneiders, Mischa Bach, Nessa Altura, Nikola Hahn, Oliver Buslau, Rebecca Gablé, Sabine Deitmer, Sandra Lüpkes, Steffen Hunder, Susanne Mischke, Tatjana Kruse, Ulla Lessmann, Ulrike Renk, Ulrike Rudolph, Ursula Sternberg, Uschi Lange, Ute Hammond und Walter Wehner.

Kriminell gute Garten-Tipps. Hrsg. von Gesine Schulz

Seit heute lieferbar, derzeit in diesen Shops:
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Mittwoch, 23. Juli 2014

Kein Denkmal könnte eindrucksvoller sein ...

Gefallene Soldaten - das kennt man aus dem Krieg. Aber gefallene Dörfer? Wir haben sie erlebt, unter sommerlich heiterem Juli-Himmel in Frankreich, auf meiner Reise nach Verdun, die mir unvergesslich bleiben wird. Einige Eindrücke aus meinem Reisetagebuch:
 
Dienstag, 15. Juli 2014
"Village détruit" - ein Dorf, das es nicht mehr gibt, das gefallen ist für Frankreich im Großen Krieg, so sagen die Franzosen. Es gibt derer acht, man hat an ihrer Stelle Gedenkkapellen errichtet, geblieben ist von ihnen nichts, wahrlich GAR nichts. Nur die wie eine überdimensionale Orangenhaut aussehende Erde: Das ist noch immer der Anblick des Krieges, gnädig begrünt von hundert Jahren Natur. Aber diese Natur hat nichts verdecken können; der Untergrund blieb, nur eine Grasdecke wurde darüber gelegt, hat sich festgewachsen auf dieser Landschaft des Grauens. Die Natur hat Bäume in die Trichter gepflanzt, aber nichts verstecken können: keine Bodenerhebung, die nicht sichtbar Trichter oder Trümmerberg ist, unzählige Male durchwühlt, durchschossen, aufgeworfen, umgepflügt, bis nur noch baumloser, schuttübersäter Schlamm blieb, durchmischt mit allem, was vorher Leben war. Kein Denkmal könnte eindrucksvoller sein als dieses stumme Zeugnis menschlichen Irrsinns. 

Mittwoch, 16. Juli 2014
Nach dem Frühstück fuhren wir nach Fort Vaux. Fünfzehn Stationen, Lebenswege wurden nachgezeichnet, Kämpfe anschaulich gemacht. Es war nicht so feucht wie in der Veste Douaumont, dafür gab Vaux den Namen Gesichter, erzählte vom verzweifelten Kampf der Franzosen bis zur Aufgabe. Ich kaufte Rechercheliteratur. Ja, diese Reise ist Arbeit - Verdun: Thema meines nächsten Romans. Ich werde ihn nach diesem Besuch anders schreiben müssen als geplant. Verdun prägt, hinterlässt Spuren, verändert. Ähnlich habe ich es in Flandern empfunden, und doch war es dort anders: In Flandern wird die Geschichte noch immer in die Gegenwart geholt, der Last Post am Abend eines jeden Tages lässt die Toten klagen, den Feind noch erspüren. In Verdun bleiben die Toten in der Erinnerung, werden gleichwohl lebendig, aber nicht als Anklage, sondern als Mahnung, oder, wie Tom sagt: In Verdun hat man den Frieden gemacht. Man hat die Natur das geschundene Land bedecken lassen; die Wunden sind vernarbt, aber die Narben bleiben sichtbar, man lebt damit, kann den Schmerz beim Wetterumschwung spüren, aber es blutet nicht mehr. In Flandern blutet es noch, jeden Abend, wenn die Melodie erklingt. Zwei Erfahrungen, keine wollte ich missen.
 
Wir besichtigen MG-Kasematten und fahren nach Fleury, auch das ein "Village détruit". Fleury: Ein solch heiterer Name ... Die Gedächtniskapelle kennen wir schon, auch die grüne Hügel-Gräben-Landschaft wirkt vertraut. Und doch ist sie hier anders, hier bekommt sie einen Bezug zu dem, was war: Schilder, auf denen die Häuser bezeichnet werden: eine Farm, der Weber, der Schmied, die Kirche, die Schule. Eine ganze Dorfgemeinschaft wurde einfach weggebombt, ausradiert. Es fällt schwer, sich die Straßen und Häuser vorzustellen, und die Menschen, die einst darin gelebt haben. Selbst die Fotos an der Kirche helfen nur bedingt. Den Bürgermeister wählen sie bis heute. Dieser traurige Ort mit dem heiteren Namen war das Beeindruckendste der Reise. Musik ist hier verboten. Zu recht. Man braucht die Stille, um begreifen zu können.
 
Donnerstag, 17. Juli 2014
Fortress: Eine Reise in den Untergrund, mitten ins Leben der Soldaten; wir sind früh dran, noch wenige Besucher im Fort in Verdun; das Wägelchen für sechs Personen wartet, bis wir die Billets gekauft haben. Wir steigen in eine Zeitmaschine, fahren in den Berg, hundert Jahre zurück. Das, was wir in Fort Vaux erlaufen und erlesen, in Videos auf dem Sprachführer gesehen haben, wird hier unmittelbar, lebensecht. Der Wagen hält, vor uns ein Offizier nach schlafloser Nacht im Selbstgespräch. Er schreibt einen Brief an seine Lieben, benennt die Dinge mit Namen, die in diesem feuchten Labyrinth schon lange nichts mehr zählen: Liebe, Leben, Sonne, die Ernte, der Alltag zu Hause. All das, was in Fort Vaux die Fantasie erschaffen muss, wird im Dämmerlicht präsent. Die morschen Betten, ein Wasserkrug, Requisiten des täglichen Überlebens. 
Nächste Station. Ein General, der das Wienern der Uniformknöpfe verlangt und mehr Weihrauch vor der Krankenstation, um den Gestank zu vertreiben. Der Vorgesetzte der Soldaten wagt zu widersprechen, sich für seine Leute einzusetzen, die jämmerlich krepieren; Gehör findet er nicht. Es geht nicht um Recht oder Unrecht, nicht um Moral, um Menschlichkeit schon gar nicht. Es geht um strategische Ziele, um das große Ganze, was auch immer das ist. Diese Gespräche könnten genausogut auf Deutsch wie auf Französisch geführt sein, via Kopfhörer werden sie es ja auch, während die Originalsprache an den Wänden hallt. Deshalb war der Weihnachtsfrieden 1914 so gefährlich, musste mit allen Mitteln unterbunden, beendet werden: die Feststellung, dass Soldat Jean und Soldat Peter mehr gemeinsam hatten als ihre Befehlshaber, wäre kriegszersetzend, zu bedrohlich gewesen. 

Die Fahrt geht weiter, vorbei an Stellagen mit Brotlaiben, Halt in einer Bäckerei. Ein Anflug von Fröhlichkeit, als der Laufbursche sich zwei Brote verdient, ein junger Kerl, einarmig, wie wir erfahren, der Einzige, den man aus den Trümmern des heiteren Fleury noch lebend herausgegraben hat. Gedeckte Tische an den Wänden rechts und links, wir fahren an Tellern, Bestecken, Gläsern vorbei; ein Viertelbrot für jeden, die Reihen sind noch leer. Es fällt nicht schwer, sich die Männer vorzustellen, die hier bald sitzen werden, abgekämpft und müde und keine Chance darauf, so alt zu werden, wie sie aussehen. Unser Wagen dreht sich langsam im Kreis, dass wir dieses "Rattenloch-Leben" in allen Facetten aufnehmen können, das nur deshalb einen Hauch von Dämmerlicht-Romantik hat, weil der Gestank fehlt und die Angst, beim nächsten Angriff lebendig begraben zu werden.
 
Wieder der Offizier vor uns. Er denkt daran, als er jung war, seinen ersten Flieger sah: ein Erlebnis, an dem wir teilhaben, der hohe, weite Himmel, Wind im Gesicht, die Spielzeuglandschaft unter uns; wir nehmen den Blick des Piloten ein, ein Licht kommt näher, blendet, wir sind zurück im Graben. Der Flieger wird zur Gefahr, nimmt Leben, unzählige, bedroht, zerstört, bis er selbst zerstört wird. Angriff. Wir sind mittendrin im Schlachtgetümmel, die Artillerie schießt, wir hören den Kanonendonner, spüren die Erschütterungen, und doch: Es ist Kino, die Angst fehlt. Wir werden weiterleben. Aber wer nur einen Funken Fantasie hat, kann sich nicht entziehen. Die Schlacht endet mit dem Einsturz des Tunnels, unsere Fahrt vor einer eingestürzten Tür. Wir steigen aus, gehen ins Dunkel, ein Rauschen: Langsam wird es hell, wir durchqueren einen Wald, Bäume mit Blättern daran, die es auf den Schlachtfeldern schon lange nicht mehr gibt.
 
Wir verlassen das Fort, fahren aus Verdun heraus, vorbei an Wiesen, Feldern, Wäldern. Friedlich sieht die Landschaft aus, versöhnlich, gut. Die Sonne scheint. Obwohl uns hundert Jahre vom Großen Krieg trennen, ist die Vergangenheit nur einen Lidschlag entfernt.