Freitag, 11. Januar 2013

Eine Schachtel Alltag - Mühlengespräche mit Nikola Hahn (3)


Thoni Verlag: Es geht nicht nur um Wörter und Bilder in Ihrem Roman, sondern auch leibliche Genüsse spielen eine große Rolle ...
Nikola Hahn: Allerdings. Essen ist etwas Wunderbares! Und gemeinsam zu essen eines jener Rituale, deren Verschwinden ich sehr bedaure. Meine Eltern haben beide gearbeitet, aber mindestens eine, oft zwei Mahlzeiten am Tag, wurden von allen gemeinsam eingenommen, das Frühstück und das Abendessen. Am Wochenende natürlich auch das Mittagessen. Für ein gemeinsames Frühstück stehen mein Mann und ich noch heute jeden Morgen extra eine halbe Stunde früher auf.
Thoni: Um perfekte Eier zu kochen?
N.H. (grinst): Auch, ja. Was zugegebenermaßen nicht immer gelingt. Im Ernst: Ich finde, es gibt nichts Traurigeres als alleine zu essen. Essen und Kommunikation gehören für mich unbedingt zusammen. Als Schriftstellerin kann ich damit natürlich herrlich spielen: Dass der Roman mit einem Frühstück anfängt und endet, ist ebensowenig ein Zufall wie das Scheitern der perfekt geplanten Dinners, mit denen Wolfgang Hedi rumzukriegen versucht. Und dass ein zugelaufener Kater nicht nur den Weihnachtsbraten, sondern für Hedi das ganze Fest verdirbt, mag für den Leser ein Grund zum Schmunzeln sein, für die Geschichte ist es nur folgerichtig: Hedis Leben ist längst aus den Fugen.
Thoni: Darf man nach alldem davon ausgehen, dass auch der Schauplatz der alten Mühle kein zufällig gewählter ist?
N.H.: Abgesehen davon, dass ich eine Vorliebe für alte Gehöfte und den Odenwald habe, war es für mich in der Tat reizvoll, den, wie Vivienne es ausdrückt, Antagonismus eines solchen Ortes mit meiner Geschichte zu verweben. Ich habe mich dabei der Worte Hermann Glasers bedient, die ich Vivienne in den Mund lege: Die Mühle ist ein Urbild unserer Existenz, da uns das Leben in seiner organischen Verbindung fasslich entgegentritt. Sie ist Sehnsucht nach Heimat, Gleichnis des Doppelten: Topos der Antinomie. Dieses Bild zu übersetzen in die Schicksale der Menschen, aber auch in die Sprache der Kunst und Literatur, war für mich als Schriftstellerin eine erfüllende Aufgabe, die ich jetzt in der Überarbeitung erst so richtig ausleben konnte.
Thoni: Was sich unter anderem in den ausführlichen Quellen- und Zitatangaben spiegelt.
N.H.: Als recht schwierig erwies es sich, meine in der Erstfassung versteckten Zitate wiederzufinden, zuzuordnen und sie noch besser zu pointieren. Ich hätte das gern vor dreizehn Jahren schon so gemacht, aber damals gelang es mir lediglich, eine eher subtile Anspielung auf mein Sujet Sprache unterzubringen: meine Zeichnung Worte. Wahrscheinlich haben sich viele Leser gefragt, was das bedeuten sollte. (grinst) Jetzt wissen sie’s. Übrigens stammt auch diese Zeichnung aus meiner polizeilichen Vergangenheit und ist deshalb, ebenso wie die doppelgesichtige Prinzessin, in Die Startbahn publiziert. Für die eBook-Ausgabe der Wassermühle habe ich erstmals den Versuch gewagt, meine im Roman verwendeten Zitate im Anhang nicht nur im Kontext zu belegen, sondern sie auch zu illustrieren und mit dem Romantext zu verlinken. Wer mag, kann nach dem Ende der fiktiven Geschichte eine zweite Reise in die Welt der Literatur und Kunst unternehmen.
Thoni: Sie erzählen aber nicht nur von der Macht der Sprache, sondern auch von der Bedeutung der Liebe. Ist Die Wassermühle also in Wahrheit ein Liebesroman?
N.H.: Jein. Der Liebesroman, wie man ihn im Allgemeinen versteht, ist ja eigentlich kein Roman über die Liebe, sondern über das Verliebtsein, also die erste Phase auf dem Weg zur Liebe. Erzählt wird in der Regel, welche Klippen die Protagonisten umschiffen müssen, um sich als Paar zu finden. Für einen Liebesroman in diesem Sinne ist Die Wassermühle zu wenig auf die beiden Hauptpersonen fokussiert, also Hedi und Klaus. Ich wollte mehr als das übliche Schema aus Konflikt, Versöhnung, Wolke sieben. Es ging mir darum, das Leben von zwei Menschen zu erzählen, die einmal sehr verliebt ineinander waren, die ihr Schicksal gemeistert, sich dann aber auseinandergelebt und im Alltag verloren haben. Sie verstehen einander nicht mehr, hören sich nicht mehr zu, werden im wahrsten Sinne des Wortes sprachlos. Was bleibt, ist das Gedankenalbum der Erinnerung, traurige, fröhliche und sehnsuchtsvolle Bilder von gemeinsam Erlebtem, beispielsweise das Lustige Offenbacher Steineraten, mit dem es Klaus einst gelang, seine junge Frau aus ihrer Depression zu reißen. Als Schriftstellerin spüre ich der Frage nach, was eigentlich geschehen ist zwischen den beiden, warum es so schwer ist, dass sie sich wiederfinden, und warum der Alltag für beide plötzlich doch wieder beglückend ist. Es hat nicht nur mit ihren gemeinsamen Erinnerungen zu tun, sondern auch mit dem Gefühl der Vertrautheit und der Dankbarkeit einem Menschen gegenüber, mit dem man lange und, insgesamt gesehen, glücklich und zufrieden leben durfte. Sicher gehört dazu auch die Erkenntnis, dass niemand perfekt ist, und dass Liebe etwas damit zu tun hat, den anderen wirklich anzunehmen. Manchmal genügt es schon, einfach den Blick auf die Dinge zu ändern. Der erste und (vor-)letzte Satz des Romans zeugen davon.
Thoni: Unter der Überschrift Statt eines Epilogs. Bonbons aus meiner Briefpost haben Sie der Erstausgabe ein Nachwort angehängt, das auch die wechselvolle Geschichte des Manuskripts nachzeichnet ...
N.H. (schmunzelt): Ja, meine Wassermühle hatte es nicht leicht. Aber wie ich schon sagte: Es ist fantastisch, was man mit Sprache alles machen kann. Und wie entlarvend so mancher vorgeblich bedeutsame Satz klingt, wenn man ihn in einen neuen Zusammenhang stellt. Die positiven Zitate aus diesem Absagensammelsurium stammen übrigens von dem leider viel zu früh verstorbenen Verleger Dr. Karl Blessing, der mir die schönste Absage schrieb, die ich je bekommen habe. Sie schloss mit dem Wunsch, meinem Manuskript, das leider in das Verlagsprogramm seines damals noch jungen Verlages nicht hineinpasste, dennoch einmal in gedruckter Form wiederzubegegnen. Den Wunsch konnte ich ihm erfüllen. Nachdem der Roman vor dreizehn Jahren erschienen war, habe ich ihm umgehend ein Exemplar zukommen lassen.
 
 
Thoni: Er hat es hoffentlich mit Vergnügen gelesen. Vielen Dank für das Gespräch.
 
Nikola Hahn & Thoni Verlag,
Rödermark, Januar 2013
 

1 Kommentar:

  1. Wir wollen nicht indiskret sein und nach der Ei-Kochdauer fragen.

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