Freitag, 1. März 2013

Poesie in Farbe

Ich musste gerade grinsen, als ich den letzten Kommentar las: Tja, die "Hurenkinder" & "Schusterjungen": Für alle, die es NICHT wissen, das sind alleine stehende Zeilen am Anfang oder am Ende einer Buchseite und wer ein Buch professionell setzt, sollte sie tunlichst vermeiden. Ich sag mal so: Die Mädels und Bürschchen sind zuweilen penetrant ...
 
Bei den "Singenden Vögeln", der vierten Ecke im neuen Printquartett meines Verlags, hatte ich damit allerdings weniger Probleme; die "poetischen Gedanken über das Leben" nehmen nur einen kleinen Teil der Buchseiten ein - es ist das erste farbige Buch aus meinem Verlag: eine Geschenkausgabe der bislang nur als eBook erschienenen "HandyPoesie". Die Verbindung von Worten und Bildern ist ja ohnehin ein Faible von mir - für die "Singenden Vögel" habe ich Motive aus Tausenden von Fotos ausgewählt, die ich im Laufe der vergangenen Jahre in meinem Garten aufgenommen habe.
 
Update:
Ja, Lesen im Quadrat macht Freude!




Wer neugierig ist: Auf der Bücherseite in meinem Verlag habe ich eine Lese- und "Schauprobe" eingestellt.

www.thoni-verlag.com

Mittwoch, 27. Februar 2013

Fix und fertig

Ja, das klingt doppeldeutig, und das soll es auch! Während der vergangenen Wochen wurden die Tage nur nach dem Kalender länger, bei mir wurden sie zunehmend kürzer, und die Nächte erst :)
Beim letzten Eintrag habe ich davon geschwärmt, wie wunderbar das Gefühl ist, ein Papierbuch in der Hand zu halten. Und dieses Gefühl wollte ich bald (wieder) mit meinen eigenen Büchern genießen ... Aber vor das Vergnügen ist nun mal der Schweiß gesetzt, und ich gebe zu, dass auch ein bisschen Respekt dabei war bei der Vorstellung, dass ich mein "erstes Papierbaby" bald auf meine Leser loslassen würde. Die Verlegerin hat der Autorin hier und dort tüchtig auf die Finger geklopft, wenn sie zu ungeduldig wurde: Noch mal lesen! Layout umstellen! Da ist noch ein "Hurenkind", und da springt doch glatt ein "Schusterjunge" rum! Beim eBook ist das egal, aber im Print? Geht ja gar nicht! Also: basteln, prüfen, lesen, wieder lesen ... Dann ist der Buchblock fertig, das Cover ruft. Endlich kann ich meine Idee umsetzen, aus meinem Roman ein "besonderes Buch" zu machen, eines, das nicht nur die Geschichte eines geheimnisvollen Gartens durch den Jahreslauf erzählt, sondern das den Lesern den Lauf der Jahreszeiten schon als Eingang präsentiert.
 
Tja, und so habe ich dem "Sommer-Garten", der schon länger erhältlichen eBook-Ausgabe, nun den "Winter-Garten" zur Seite gestellt: eine Taschenbuchausgabe mit "Text pur". Und für diejenigen, die gern in stimmungsvollen Bildern schwelgen, gibt`s den illustrierten "Herbst-Garten".
 
Nachdem die Vorarbeiten gemacht waren, ging es mit dem Veröffentlichen sehr schnell. Und ich wartete bang auf das Belegexemplar. Gestern habe ich es bekommen. Mit Herzklopfen ausgepackt. Wie würde der Druck aussehen? Würden die Bilder wirken? Erleichterung. Stolz. Freude: Was für ein Gefühl, die ersten Printbücher aus dem Thoni Verlag in Händen zu halten! Nicht nur der "Garten" lag im Paket, sondern auch "Die Startbahn". Wenn schon, denn schon!


Und jetzt? Arbeite ich am nächsten Projekt.
Was das ist?
Na lest mal aufmerksam - da fehlt noch eine Jahreszeit beim "Garten" *g*
 
Ich schicke viele Grüße in die Runde und wünsche meinem "Winter- und Herbst-Garten" viele interessierte (Papier-)Leser ...
 
Nikola
 
PS: Ich habe im Verlag aufgeräumt und für meine Leser (hoffentlich ansprechende) "Zimmer zum Papier- und eBook-Stöbern" eingerichtet: www.thoni-verlag.com

Und hier ist er nun, mein "Garten auf Papier" ... und "Die Startbahn" stelle ich gleich mit dazu.

Donnerstag, 31. Januar 2013

Von der Freude, Papier zu spüren

Ja, es ist eine Herausforderung sich zu überlegen, wie man eine Geschichte fürs elektronische Lesen aufbereitet, ja, es macht Spaß, die Mittel und Möglichkeiten zu nutzen, die nicht nur das e-Publizieren, sondern auch das e-Lesen bietet. Aber gestern war ein Tag, an dem ich wieder mal gemerkt habe, wie wunderbar dieses Material ist, das sich Papier nennt ... Schon als ich im vergangenen Sommer meinen Verlag gründete, war mir klar, dass ich irgendwann neben der elektronischen auch wieder die Papier-Schiene bedienen wollte. So sehr ich selbst inzwischen zum begeisterten e-Leser geworden bin, sosehr liebe ich das Gedruckte: Meine "Papierbibliothek" wollte ich um nichts auf der Welt missen; meinen Reader allerdings auch nicht mehr. Und in meinem Verlag beides zusammenbringen. Irgendwann. Irgendwie.
 
Was soll ich sagen? Ich bin auf dem Sprung! Natürlich ist es heutzutage kein Problem, irgendwo Bücher drucken zu lassen, aber es geht ja bei einem Buch mehr als um irgendein Druckwerk, das dann irgendwie verteilt wird oder nicht. Es geht darum sich zu überlegen, wie man die erzählte Geschichte präsentiert, in welche Form man sie gießt. Gut, das gilt ebenso fürs eBook, auch wenn viele meinen, das Layout hier vernachlässigen zu können. Ein schlampig gemachtes Buch ist eine Beleidigung des Lesers, egal auf welchem "Kanal".
 
Doch zurück zum Papier und meiner Freude. Die Fragen, die ich mir als Verlegerin stellen muss(te), waren simpel: Welche Anbieter gibt es, und welche Angebote machen sie? Und, ganz wichtig: Ist es finanziell vertretbar, sie zu nutzen? Will heißen: Lassen sich Bücher auch in kleinerer Auflage zu einem Preis herstellen, den die Leser bereit sind zu zahlen? Und steht das so hergestellte Buch dann noch für die Philosophie meines Verlags, eben schöne Bücher zu machen?
 
Inspiriert vor allem durch Eure vielfältigen Kommentare, Mails und Reaktionen, die teilweise ja schon den Anflug von Trauer hatten: Wie? Deine neuen Bücher gibt`s gar nicht im Print?, habe ich intensiv darüber nachgedacht, wie ich das ändern könnte. Ich werde also in den kommenden Wochen einen Versuch starten! Die Vorsondierung ist abgeschlossen, ich habe mich entschieden, es auf zwei Kanälen anzugehen, und im Rahmen dieser Vorgespräche fragte mich dann mein avisierter Druck- und Vertriebsdienstleister, ob ich denn schon die Papiersorte ausgesucht hätte. Sie könnten mir gern mal entsprechende Proben schicken. Das mag für Einige jetzt ein bisschen seltsam klingen, aber für einen solchen Bücherwurm wie mich war das wie Weihnachten!
 
Ja, und gestern lag das Päckchen in der Post: Adressiert an den Thoni Verlag. Preislisten für den Druck, Vorgaben für die Übermittlung der Druckdateien; ich wusste, was mich diesbezüglich erwartet und habe mich seit Monaten in die Materie eingearbeitet. Geschäftspost halt. ABER dieses kleine, feine Heftchen ... Ich berührte das Papier und war glücklich. Ja, es wird ein Unterschied sein, welches dieser Papiere ich für den Druck aussuche. Und für den "Deckel" nehme ich ... ? Ich bin SO gespannt, wie das erste gedruckte Buch aus meinem Verlag aussehen wird! Durch den winterlichen Virenangriff bin ich zwar etwas in Verzug geraten, aber um es frei mit den Worten von Nikodemus aus dem "Garten der alten Dame zu sagen": Dann kann ich das Warten aufs Freuen länger genießen!
 
In diesem Sinne: Ich werde über die weiteren Fort-Schritte berichten ;)
Bis bald in der "Stube"
Nikola 

Montag, 14. Januar 2013

Kleines Päuschen ...

... Manchmal laufen die Dinge anders, als man es plant ;) Ich wollte eigentlich noch mit einer Überraschung aufwarten, sozusagen als Auftakt zum Jahr, aber die Verkündung (das Tun ist schon getan) muss  noch ein bisschen warten, und an meine Schreibstube hänge ich mal den Zettel: Bin bald wieder da!!

Eure Nikola

Freitag, 11. Januar 2013

Weg mit dem Neger!

Beim Lesen gibt es verschiedene emotionale Zustände. Bei der Ankündigung des Thienemann Verlags, der "kleinen Hexe" von Otfried Preußler sprachlich auf den Besen zu rücken, blieb mir dann doch die Spucke weg. Ja! Aber sicher kann man veröffentlichte Werke sprachlich anpassen, überarbeiten, neu ausrichten. Hab ich gerade bei meinem Roman sehr exzessiv gemacht. Aber die Frage ist doch, WARUM man das tut. Dem Leser zum Nutzen? Daran habe ich in diesem Fall doch Zweifel. Ich schreibe recht wenige Leserkommentare, aber nach dem Lesen des Beitrags in der Wirtschaftswoche hat es mich in den Fingern gejuckt:
 
Ich schlage vor, aus allen Klassikern Begriffe wie Schreibmaschine, Postkutsche und Ähnliches zu entfernen. Man kann damit Kinder verwirren, denn sie wissen ja mit diesen Begriffen nichts anzufangen. Wären die Erklärungen der Verantwortlichen nicht so entlarvend, könnte man das Ganze als normalen Vorgang abtun: Sprache verändert sich, und um das auszudrücken, was der oder die Autorin gemeint hat, kann es tatsächlich erforderlich sein, auch Wörter zu ändern. Aber man kann es auch übertreiben! Das Schöne an der Sprache ist, dass man damit spielen kann. Hier aber wird nicht gespielt, nicht mal augenzwinkernd akzeptiert, dass früher die Zeiten andere waren. Dass man darüber reden kann und sollte, wie sich die Welt verändert hat. Beim Lesen des Verlagsstatements kamen mir die Tränen. Ich weiß nur nicht, ob vor Trauer oder Scham. Die Stimme der Leser zählt nicht mehr. Wir wollen das und wir machen das. Basta. Kennt man irgendwoher.
 
Das musste einfach sein!
 
Und hier sind die Links für Interessierte:
 
 
 
 
 
 

Eine Schachtel Alltag - Mühlengespräche mit Nikola Hahn (3)


Thoni Verlag: Es geht nicht nur um Wörter und Bilder in Ihrem Roman, sondern auch leibliche Genüsse spielen eine große Rolle ...
Nikola Hahn: Allerdings. Essen ist etwas Wunderbares! Und gemeinsam zu essen eines jener Rituale, deren Verschwinden ich sehr bedaure. Meine Eltern haben beide gearbeitet, aber mindestens eine, oft zwei Mahlzeiten am Tag, wurden von allen gemeinsam eingenommen, das Frühstück und das Abendessen. Am Wochenende natürlich auch das Mittagessen. Für ein gemeinsames Frühstück stehen mein Mann und ich noch heute jeden Morgen extra eine halbe Stunde früher auf.
Thoni: Um perfekte Eier zu kochen?
N.H. (grinst): Auch, ja. Was zugegebenermaßen nicht immer gelingt. Im Ernst: Ich finde, es gibt nichts Traurigeres als alleine zu essen. Essen und Kommunikation gehören für mich unbedingt zusammen. Als Schriftstellerin kann ich damit natürlich herrlich spielen: Dass der Roman mit einem Frühstück anfängt und endet, ist ebensowenig ein Zufall wie das Scheitern der perfekt geplanten Dinners, mit denen Wolfgang Hedi rumzukriegen versucht. Und dass ein zugelaufener Kater nicht nur den Weihnachtsbraten, sondern für Hedi das ganze Fest verdirbt, mag für den Leser ein Grund zum Schmunzeln sein, für die Geschichte ist es nur folgerichtig: Hedis Leben ist längst aus den Fugen.
Thoni: Darf man nach alldem davon ausgehen, dass auch der Schauplatz der alten Mühle kein zufällig gewählter ist?
N.H.: Abgesehen davon, dass ich eine Vorliebe für alte Gehöfte und den Odenwald habe, war es für mich in der Tat reizvoll, den, wie Vivienne es ausdrückt, Antagonismus eines solchen Ortes mit meiner Geschichte zu verweben. Ich habe mich dabei der Worte Hermann Glasers bedient, die ich Vivienne in den Mund lege: Die Mühle ist ein Urbild unserer Existenz, da uns das Leben in seiner organischen Verbindung fasslich entgegentritt. Sie ist Sehnsucht nach Heimat, Gleichnis des Doppelten: Topos der Antinomie. Dieses Bild zu übersetzen in die Schicksale der Menschen, aber auch in die Sprache der Kunst und Literatur, war für mich als Schriftstellerin eine erfüllende Aufgabe, die ich jetzt in der Überarbeitung erst so richtig ausleben konnte.
Thoni: Was sich unter anderem in den ausführlichen Quellen- und Zitatangaben spiegelt.
N.H.: Als recht schwierig erwies es sich, meine in der Erstfassung versteckten Zitate wiederzufinden, zuzuordnen und sie noch besser zu pointieren. Ich hätte das gern vor dreizehn Jahren schon so gemacht, aber damals gelang es mir lediglich, eine eher subtile Anspielung auf mein Sujet Sprache unterzubringen: meine Zeichnung Worte. Wahrscheinlich haben sich viele Leser gefragt, was das bedeuten sollte. (grinst) Jetzt wissen sie’s. Übrigens stammt auch diese Zeichnung aus meiner polizeilichen Vergangenheit und ist deshalb, ebenso wie die doppelgesichtige Prinzessin, in Die Startbahn publiziert. Für die eBook-Ausgabe der Wassermühle habe ich erstmals den Versuch gewagt, meine im Roman verwendeten Zitate im Anhang nicht nur im Kontext zu belegen, sondern sie auch zu illustrieren und mit dem Romantext zu verlinken. Wer mag, kann nach dem Ende der fiktiven Geschichte eine zweite Reise in die Welt der Literatur und Kunst unternehmen.
Thoni: Sie erzählen aber nicht nur von der Macht der Sprache, sondern auch von der Bedeutung der Liebe. Ist Die Wassermühle also in Wahrheit ein Liebesroman?
N.H.: Jein. Der Liebesroman, wie man ihn im Allgemeinen versteht, ist ja eigentlich kein Roman über die Liebe, sondern über das Verliebtsein, also die erste Phase auf dem Weg zur Liebe. Erzählt wird in der Regel, welche Klippen die Protagonisten umschiffen müssen, um sich als Paar zu finden. Für einen Liebesroman in diesem Sinne ist Die Wassermühle zu wenig auf die beiden Hauptpersonen fokussiert, also Hedi und Klaus. Ich wollte mehr als das übliche Schema aus Konflikt, Versöhnung, Wolke sieben. Es ging mir darum, das Leben von zwei Menschen zu erzählen, die einmal sehr verliebt ineinander waren, die ihr Schicksal gemeistert, sich dann aber auseinandergelebt und im Alltag verloren haben. Sie verstehen einander nicht mehr, hören sich nicht mehr zu, werden im wahrsten Sinne des Wortes sprachlos. Was bleibt, ist das Gedankenalbum der Erinnerung, traurige, fröhliche und sehnsuchtsvolle Bilder von gemeinsam Erlebtem, beispielsweise das Lustige Offenbacher Steineraten, mit dem es Klaus einst gelang, seine junge Frau aus ihrer Depression zu reißen. Als Schriftstellerin spüre ich der Frage nach, was eigentlich geschehen ist zwischen den beiden, warum es so schwer ist, dass sie sich wiederfinden, und warum der Alltag für beide plötzlich doch wieder beglückend ist. Es hat nicht nur mit ihren gemeinsamen Erinnerungen zu tun, sondern auch mit dem Gefühl der Vertrautheit und der Dankbarkeit einem Menschen gegenüber, mit dem man lange und, insgesamt gesehen, glücklich und zufrieden leben durfte. Sicher gehört dazu auch die Erkenntnis, dass niemand perfekt ist, und dass Liebe etwas damit zu tun hat, den anderen wirklich anzunehmen. Manchmal genügt es schon, einfach den Blick auf die Dinge zu ändern. Der erste und (vor-)letzte Satz des Romans zeugen davon.
Thoni: Unter der Überschrift Statt eines Epilogs. Bonbons aus meiner Briefpost haben Sie der Erstausgabe ein Nachwort angehängt, das auch die wechselvolle Geschichte des Manuskripts nachzeichnet ...
N.H. (schmunzelt): Ja, meine Wassermühle hatte es nicht leicht. Aber wie ich schon sagte: Es ist fantastisch, was man mit Sprache alles machen kann. Und wie entlarvend so mancher vorgeblich bedeutsame Satz klingt, wenn man ihn in einen neuen Zusammenhang stellt. Die positiven Zitate aus diesem Absagensammelsurium stammen übrigens von dem leider viel zu früh verstorbenen Verleger Dr. Karl Blessing, der mir die schönste Absage schrieb, die ich je bekommen habe. Sie schloss mit dem Wunsch, meinem Manuskript, das leider in das Verlagsprogramm seines damals noch jungen Verlages nicht hineinpasste, dennoch einmal in gedruckter Form wiederzubegegnen. Den Wunsch konnte ich ihm erfüllen. Nachdem der Roman vor dreizehn Jahren erschienen war, habe ich ihm umgehend ein Exemplar zukommen lassen.
 
 
Thoni: Er hat es hoffentlich mit Vergnügen gelesen. Vielen Dank für das Gespräch.
 
Nikola Hahn & Thoni Verlag,
Rödermark, Januar 2013
 

Donnerstag, 10. Januar 2013

Eine Schachtel Alltag - Mühlengespräche mit Nikola Hahn (2)

Thoni Verlag: Im Vorwort Ihres Romans schreiben Sie, dass Personen und Handlung erfunden sind, die Details dem einen oder anderen aber bekannt vorkommen könnten. Sind damit nur die von Ihnen geschilderten Erlebnisse gemeint, oder haben Sie auch reale Personen in Ihren Roman „eingebaut“?
Nikola Hahn: Ich hatte keinerlei Interesse, einen „Schlüsselroman“ zu schreiben. Bei meinen Protagonisten handelt es sich ausschließlich um sogenannte „Gemengepersönlichkeiten“, von einer Ausnahme abgesehen: Kommissar Kunze und seine berühmte Teekanne haben wirklich existiert. Er ist zwar längst pensioniert, aber wer jemals mit ihm gearbeitet hat, weiß beim Lesen sofort, wer gemeint ist. Alle anderen Personen haben keine „Originalvorlage“: Klaus und Uli habe ich beispielsweise viele Erfahrungen zugeschrieben, die ich mit älteren Kollegen gemacht habe, sogenannte Bärenführer, von denen ich viel lernen durfte. Die Unsicherheit, aber auch der Eifer, mit denen Dagmar in ihren Beruf startet, spiegeln zum Großteil meine Gefühle als junge Polizistin wider. Was das Privatleben angeht, habe ich biografisch mit ihr dagegen nichts gemein.
Bei der Beschreibung von Hedis Alltag im Krankenhaus und später als Gemeindeschwester, habe ich auf die Erzählungen meiner Mutter zurückgegriffen, die viele Jahre lang als Hilfsschwester im Krankenhaus und in der Altenpflege gearbeitet hat. Ellis Bücherschatz auf dem Dachboden spiegelt meine Vorliebe für Gedrucktes aller Art; auch in meiner Bibliothek stapeln sich die Bücher in Zweierreihen, und wie Elli habe ich mir den großen Wunsch erfüllt, eine Druckausgabe des Grimm zu besitzen.
Teile aus dem „Künstlerleben“ Viviennes, vor allem die überdrehte Sprache gewisser Leute, die sich in dieser Szene bewegen, sind mir aus eigenem Erleben bekannt; ich arbeite ja nicht nur selbst als bildende Künstlerin, sondern habe auch, allerdings in sehr kleinem und regionalem Rahmen, Ausstellungen organisiert beziehungsweise daran teilgenommen. Für die Neubearbeitung des Romans kam mir außerdem zupass, dass mein Mann mit Bekannten vier Jahre lang das Künstler-Café Mocca betrieb, in dem wir regelmäßig Ausstellungen und Lesungen abhielten. Neben dem Kästchen mit den polizeilichen Stilblüten stand übrigens ein zweites mit „schriftlichen Sammlungen“ über Kunst und Kultur, die ich Vivienne und Galerist Wolfgang Bernsdorf überlassen habe. Ganz ehrlich: Manchmal wusste ich nicht, über welche Inhalte ich mehr lachen sollte.
Thoni: Trotzdem missbrauchen Sie Vivienne nicht als Klamaukfigur.
N.H.: Wie auch? Sie ist zwar von ihrer Persönlichkeit her etwas seltsam, aber nichtsdestotrotz eine ernst zu nehmende Künstlerin. Leider bedient sie nicht das Bedürfnis einer Szene, die ständig das Besondere sucht, wie es Galerist Bernsdorf so hübsch formuliert. Dass ihre Bilder dann doch Erfolg haben, ist nicht nur dem Zufall und Hedis Flunkerkunst, sondern vor allem dem Umstand geschuldet, dass sie an die richtigen Kontakte kommt. Plötzlich sind auch ihre anderen Bilder interessant -zu Recht. Auch wenn ihre Ausführungen zur Bedeutung von Form und Farbe in den Ohren pragmatischer Menschen wie Klaus und Hedi verschroben klingen mögen, sind sie doch das Ergebnis einer nachhaltigen Auseinandersetzung mit der Frage, was Kunst überhaupt ist. Gleichwohl erlaube ich mir, die Auswüchse „moderner Kunstliebhaberei“ vergnüglich durch den Kakao zu ziehen. Die kleine Ausstellungsführung außer der Reihe, die Hedi im Heidelberger Schloss veranstaltet, hat es übrigens tatsächlich gegeben, wenn auch an einem anderen Ort. Darauf hereingefallen sind die Leute hier wie dort.
Thoni: Und was ist aus Herrn Renzullos Stein geworden?
N.H.: Das ist eine derjenigen Szenen, die die Aktualisierung des Romans überlebt haben, obwohl sie in der Realität keinen Bezugspunkt mehr haben. Der Stein steht schon seit vielen Jahren nicht mehr auf diesem Parkplatz. Ende der 1990er Jahre erschien ein Artikel in der Tageszeitung Offenbach-Post, der mich zu der entsprechenden Szene im Roman inspirierte. Den Polizeieinsatz hat es so nicht gegeben. Umso realer war indes jenes mir unvergessliche Erlebnis, das ich auf einer Lesung in Offenbach hatte: Kommt ein Herr auf mich zu und sagt, dass er doch mal sehen wolle, wer das Buch geschrieben habe, in dem er samt seinem Kunstwerk vorkomme. Wie es sich herausstellte, hatte mich Herr Renzullo höchstpersönlich beehrt. Wir haben beide herzhaft gelacht. Ganz bestimmt wird Renzullos Stein auch künftig einen festen Platz in der Wassermühle haben. Provokation Räume: Das ist einfach zeitlos köstlich!
Thoni: Sie sagten anfangs, Die Wassermühle sei ein zeitgenössischer Roman. Also nur Unterhaltung? Oder haben Sie auch eine Botschaft?
N.H.: Zunächst einmal: Jeder Leser darf und soll diesen Roman zur Freude und Unterhaltung lesen, über die Späßchen lächeln oder ein bisschen traurig werden beim Auf und Ab in der Beziehung zwischen Klaus und Hedi, und natürlich soll er das Ende samt hart gekochtem Ei mit einem Schmunzeln genießen, ohne groß darüber nachzudenken. Was die Botschaft angeht, halte ich es mit  Reiner Kunze, der in seiner Apfelweinkneipe Viviennes Kunstwerke ausstellen will: Wir sind davon überzeugt, dass auch die sogenannten normalen Leute für anspruchsvolle künstlerische Arbeiten zu begeistern sind, wenn sie sie in einem Umfeld präsentiert bekommen, das sie nicht einschüchtert. Insofern hoffe ich, dass der eine oder die andere vielleicht auch zwischen den Zeilen lesen und erkennen mag, dass Die Wassermühle von der Gesellschaft erzählt, in der wir leben, und von dem Miteinander, oder vielmehr Nicht-mehr-Miteinander der Menschen.
Thoni: Inwiefern?
N.H.: Bewusst habe ich verschiedene Lebenswelten nebeneinander und  gegeneinander gestellt: die sensible, überkandidelte Künstlerin und die bodenständige, pragmatische Krankenschwester; die idealistische, ehrgeizige junge Polizistin und der erfahrene, am Leben gereifte Polizeibeamte; der welt- und wortgewandte, beruflich erfolgreiche und bewunderte Galerist Bernsdorf, die literaturbegeisterte adelige Dorfbäuerin Elli, deren vorgeblicher Abstieg sie letztlich ihr Lebensglück finden ließ, auch wenn das mit ihren romantischen Vorstellungen vom Landleben herzlich wenig zu tun hatte. Dass auch die „kleinen“ Nebenfiguren im Roman Namen haben und individualisiert werden, etwa Maria Westhoff, die verrückte alte Dame mit den Gespenstern im Wohnzimmer, oder Anne Ludewig, die ihren Sohn verliert, hat ebenfalls mit dieser Intention zu tun. Friedrich Hartmann, dessen Frau nach 61 Jahren Ehe stirbt, die pöbelnde Taxifahrerin Martha, die ihren Mann vermöbelt oder Willi, der „objektiv gesehene versoffene Pennbruder“, stehen für die vielfältigen, tragisch-komischen Lebenswelten, die, teils unsichtbar, in unserer Gesellschaft existieren.
Thoni: Nicht wenige von ihnen haben am Ende die Einsamkeit zu Gast.
N.H.: Ja, die Einsamkeit hat viele Gesichter: Menschen wie Rosa Ecklig oder der alte Witwer Möbius, der auf die Hefeklöße seiner Nachbarin schimpft, versuchen sie mit Aggressionen zu bekämpfen, andere ziehen sich zurück, stürzen sozial ab wie „Penner Willi“.  Auch wenn es ihn als reale Person nicht gegeben hat: Ich war damals bei der Räumung der Hütten am Kaiserlei dabei und habe das genau so empfunden, wie Klaus es im Roman Dagmar erzählt. In solchen Momenten ist man sprachlos, weil die Verlassenheit eines Menschen so übermächtig deutlich wird. Einsamkeit ist ein existenzielles Gefühl; ich habe das oft gespürt, wenn ich in eine dieser verwahrlosten Wohnungen kam, in denen ein Mensch (meist waren es Männer) seit Wochen unbemerkt tot im Bett lag oder, besonders makaber, vor dem laufenden Fernseher saß. Jeder Gegenstand atmete die Verzweiflung über das Verlassensein, die sich schon lange vor dem Tod allen Lebens bemächtigt hatte. Nicht der Tod war das Erschütternde, sondern die Geschichte, die er über das Schicksal eines einsamen Menschen  erzählte.
Thoni: Im Roman erlebt Klaus nicht nur dienstlich, sondern auch privat, wie bitter dieses Gefühl ist ...
N.H.: Er versucht es zunächst zu verdrängen und, als das nichts hilft, mit Ironie und zu viel Bier dagegen anzukämpfen. Wie verlassen er sich tatsächlich fühlt, merkt seine junge Kollegin, als sie ihn an seinem Geburtstag mutterseelenallein in seiner Wohnung findet. Als er glaubt, Hedi verloren zu haben, und nachdem sein Sohn angekündigt hat, auszuziehen, hat er eine solche Angst vor der leeren Wohnung, dass er lieber im Auto bleibt und sich betrinkt, als in ein Zuhause zurückzukehren, das für ihn keins mehr ist. Aber es gibt auch eine subtile und doch nicht minder schmerzliche Einsamkeit, die auf den ersten Blick nichts mit Alleinsein zu tun hat. Sie versteckt sich hinter glänzenden Fassaden, auf denen Dinge stehen wie: Erfolg, Macht, Einfluss. Wie einsam muss der umschwärmte Wolfgang Bernsdorf innerlich sein, wenn er Sätze sagt wie diesen: Es gibt nicht allzuviele Menschen, bei denen ich sicher bin, dass sie mich um meiner selbst willen mögen.
Thoni: Sowas überliest man aber schnell ...
N.H. (lächelt): Ja, ebenso schnell, wie man es im Alltag überhört. Diese Sprachlosigkeit zu zeigen, das Schweigen inmitten von Geschwätzigkeit und die stillen Schreie überhörter Nebensätze: Auch das war eine Intention, diesen Roman zu schreiben. Ich wollte eine Geschichte darüber erzählen, wie wir miteinander kommunizieren, oder eben auch nicht (mehr) kommunizieren. Wir verstehen uns-in der Doppeldeutigkeit dieses Satzes liegt das Geheimnis gelungener Beziehungen: Ich schätze dich, weil ich verstehe, was du sagst. Ich verstehe dich, weil ich dich einzuschätzen weiß. Sich die Zeit zu nehmen, einen Menschen wirklich kennenzulernen, entbindet von der Mühe, seine Worte einzeln auf die Waagschale zu legen, und vor allem hilft es, sie richtig abzuwägen. Ich hab’s nicht so gemeint: Wer mag, kann sich einen Spaß daraus machen und mal nachzählen, wie oft dieser Satz meinen Figuren über die Lippen kommt.
Thoni: Und welche Funktion hat die Sprache, die Sie aus Ihren Zettelkästen und als Literaturzitate einbringen?
N.H.: Nun ja, manchmal legen es Gesprächspartner bewusst darauf an, vom Gegenüber nicht verstanden zu werden: Sprache dient dann nicht der Kommunikation, sondern als Bollwerk, um sich gegen andere abzugrenzen. Man kann mit sehr vielen Worten nichts sagen oder, wie es Klaus ausdrückt, Selbstverständlichkeiten in Neudeutschgelaber so geschickt verpacken, bis sie niemand mehr versteht. Sprache kommt aber auch gern als unüberlegte Plapperei daher, sei es Society-Smalltalk oder Gartenzauntratsch, die sich bestenfalls in der rhetorischen Brillanz unterscheiden, wie die blaublütige Bäuerin Elli überrascht feststellt.
Was die Zitate angeht, stimme ich Heinrich Heine zu, dass man sich mit Klugheiten anderer gut schmücken kann. Was jedoch meine Intention fürs Schreiben der Wassermühle betrifft, möchte ich es mit Vivienne halten: Schon immer habe ich Freude daran gehabt, den Worten nachzuspüren, die andere über Dinge gesagt haben, die mir wichtig sind. Die Sprache ist Mittel und Werkzeug, um die Menschen und die Welt zu verstehen, und, so schließt sich der Kreis, Kunst besteht darin, dieses Verständnis in Bilder mit einem Aha-Erlebnis zu übersetzen, sei es mit Hilfe von Form und Farbe, wie es Vivienne tut, oder literarisch, also editierend und schreibend, wie Elli es mit ihrer Literaturzeitschrift Die Wörtertruhe versucht.
Thoni: Oder mit einem Roman, der vordergründig als heitere Familiengeschichte daherkommt?
N.H. (lacht): Ertappt.
 
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