Freitag, 2. August 2013

Post vom Anwalt und ein Abschied ...

Es gibt solche Momente, in denen man sprachlos ist ... Heute Abend beim Lesen in meinem Twitter Account war es so weit: "7600 Euro für einen Lokalzeitungstext/Journalist verklagt Musikerin Scarlett O´." Gut, die Diskussion um die sogenannten "Pressespiegel" ist nicht neu, und im Oktober soll es eine Entscheidung zur Verwendung von Rezensionsausschnitten aus Zeitungen im Rahmen der Buchwerbung geben. Und, auch ja: Streng juristisch genommen greift hier das Zitatrecht nicht. Und, ja: Menschen, die (professionell) schreiben, sollen damit auch Geld verdienen dürfen. Und noch mal ja: Das Urheberrecht gilt auch im Internet. Und für Pressetexte. Alles klar?
 
Nein. Nicht mal juristisch ist alles klar. Das bedeutet aber, dass jemand, der nicht seine Tage damit verbringen will, anwaltliche Schreiben zu konsumieren, Konsequenzen ziehen muss. Dass Abschied genommen werden muss von lieben, alten Gewohnheiten, die jahre-, ja, jahrzehntelang üblich waren, die allen, die daran beteiligt waren, irgendwie genutzt haben. Und hier ist der kleine, aber feine Unterschied zur "gewöhnlichen" Urheberrechtsverletzung: Es geht nicht darum, dass jemand einen fremden Text ungefragt veröffentlicht, zu dem keinerlei Beziehung besteht. Scarlett O´ bringt es sehr schön auf den Punkt: Wenn es mich als Künstlerin nicht gäbe, hätte der Journalist nichts zum Schreiben.
 
Diese gute, alte Gewohnheit war eine typische Win-win-Situation: Der Journalist berichtet über Musiker und Schriftsteller, er geht zu Veranstaltungen, und selbstverständlich zahlt er nichts dafür. Wird ebenso selbstverständlich gratis bewirtet, wenn es denn Bewirtung gibt, und dass er, im Falle, er beschäftigt sich mit einem Autor, ein Gratis-Exemplar des Buches bekommt, das er besprechen will, gehört natürlich auch zum Angebot. Die Meinung des Journalisten kann der Künstler damit nicht "kaufen", aber wie hat das jemand so schön formuliert? Die Pressemappe eines Künstlers ist sozusagen sein öffentlicher Arbeitsnachweis. Aufmerksamkeit ist die Währung, in der hier bezahlt wird. Von beiden Seiten. Im Gegensatz zum Autor, der sich spannende, interessante Geschichten ausdenken kann und darf, muss der Journalist das nehmen, was die Wirklichkeit ihm anbietet und damit seine Leser locken. Kunst und Kultur sind sozusagen die Köder. Es kann sein (und kommt gar nicht so selten vor, wie wir Künstler alle leidvoll wissen), dass man die gewünschte Aufmerksamkeit nicht erhält - oder dass die Veröffentlichung nicht "in unserem Sinne" ist, sprich: ein Verriss.
 
Die Künstlerseele schaudert`s, aber aus der Sicht der Konsumenten (Leser, Musikhörer, Kunstliebhaber): wunderbar! Als Leser kann ich das schöne Gefühl haben, dass da jemand objektiv schreibt und dann auch die gute Kritik als ehrlich einsortieren. Trotz Freikarte und Gratis-Buch. Nun weiß aber auch jeder, dass nichts so alt ist wie die Zeitung von gestern. Das mag betrüblich sein für den Periodika-Journalisten. Dass es da eine Spezies von Leuten (nämlich vor allem die Künstler) gibt, die fast liebevoll ihre Pressemappen pflegen, sollte eigentlich die Seele dieser Schreibenden streicheln: Früher wurden Pressemappen an Veranstalter gesandt, oder man machte, wann immer möglich, offline Werbung damit. Das ist schon länger passé; es blieb das Zitieren einzelner  Passagen, der Hinweis - selbstverständlich MIT Quellen- und Autorangabe! - auf Rezensionen und Artikel über die eigene Person, die eigenen Werke. Die positive Rezension, der Bericht über die Lesung oder das Konzert: Natürlich ist man als Künstler stolz, in der Öffentlichkeit "vorzukommen".
 
Aber es gibt auch das Bedürfnis des Konsumenten, sich über den Künstler zu informieren. Und das Bedürfnis des Künstlers (ich wage zu behaupten, irgendwo auch das Recht), zu dokumentieren, was alles geschrieben und veröffentlicht wird über die eigene Person. Ich zumindest habe mich stets bemüht, einen repräsentativen Strauß zu binden und ich weiß, dass die Pressemappe auf meiner Website gern gelesen wurde. Die Zitate reichen zurück bis ins Jahr 1998, als mein erster Roman erschien, über den es mehr als einhundert Presseveröffentlichungen gab, von der FAZ bis zur lokalen Heimatzeitung. Was für ein wunderbares Potpourri! Was für eine Freude, so etwas zusammenzustellen! Eine Werbung, ich maße mir an zu sagen: auch für die, die es geschrieben haben.
 
Natürlich fragt man beim Kontakt mit dem Journalisten, ob man zitieren darf. Klar nennt man Links, wenn sie denn vorhanden sind. Gerne verweist man auf die Website von Autoren/Journalisten. Aber wie viele Artikel bekommt man erst nachträglich zu Gesicht? Wie viele bekommt man, ohne dass der Autor klar erkenntlich ist, weil er unter Kürzel geschrieben hat? Klar, das ist alles rauszubekommen. Sicher, man kann sich für alles und jedes eine schriftliche Genehmigung geben lassen. Und bei Zitaten in meinen Büchern, sofern sie nicht ganz eindeutig unters Zitierrecht fallen, mache ich das auch inzwischen konsequent. Aber bei einer Pressemappe? Bei jedem Satz-Zitat? Oder gar "für Content bezahlen"? Wie sollte das denn bitte zu verstehen sein? Ich zahle, und du schreibst gut über mich? Oder, noch diffiziler: Ich (Journalist) schreibe schon vorausschauend gut, weil sich dann die Chance erhöht, dass ich meine Rezi über den begeisterten Künstler zweitverwerten kann? Welchen Beigeschmack hat eine bezahlte Kritik? Wer mag das lesen - und vor allem: glauben?
 
Vorbei.
Ich will und kann es nicht darauf ankommen lassen.
Soeben habe ich (mit sehr wenigen Ausnahmen) alle "Pressestimmen" zu meinen Büchern gelöscht.
Natürlich kann ich ohne Pressezitate leben. Prima sogar, zumal ohnehin die "Primärstimmen", also die direkten Kommentare von Lesern, einen immer breiteren Raum einnehmen.
Trotzdem: Es ist ein Abschied, der schmerzt. Ein bisschen Friedhof, sozusagen: Was ging, kommt nicht wieder.


Wer sich näher informieren möchte - eine Zusammenstellung von Links zum Thema:

Der Zeitungsartikel über Scarlett O´, auf den ich mich eingangs beziehe:

Und hier der sehr lesenswerte Beitrag dazu auf ihrer Website:
http://www.scarlett-o.de/presse.htm

Eine Zusammenstellungen von Meinungen und Fakten zum Thema:
http://www.chanson.de/rechtliche-themen-1.html
http://www.chanson.de/recht3
http://www.chanson.de/recht1
 
Diskussionsgruppe auf Facebook:
https://www.facebook.com/groups/abmahnungen/

Eine Umfrage zum Thema:
http://www.chanson.de/survey2.html
 
 
Weitere Hinweise/Artikel zum Thema:

(Hinweis auf Abmahnung bei einem Musiker)
 
(Risiko bei Pressespiegel im Internet)

Konflikt um preisende Zitate/Verzicht von Libri auf Presserezensionen
 
Rezensionsausschnitte müssen wohl lizensiert werden (plus ein bissiger Kommentar von mir/Nr. 4)

 Und hier noch ein kleiner Zusatzkommentar zu einem Lesereintrag auf meiner Facebook-Seite:

Ganz eindeutig - und auch in meinem Blogbeitrag und dem zitierten Kommentar gemeint/gesagt: Es geht NICHT um eine beliebige Verwertung journalistischer Arbeit, sondern lediglich um diese kleinen "Appetithäppchen", also (das juristisch umstrittene) Zitieren einiger Sätze oder Auszüge. Und es geht auch nicht darum, dass das jeder darf, sondern eben speziell diejenigen, die auch (und eben auf eigene Kosten) die Grundlage bereitstellen: Freikarten, Gratisbücher für Rezensionen, Bewirtung bei Veranstaltungen, und, wohlgemerkt: OHNE dass daraus eine Verpflichtung zur Veröffentlichung überhaupt, und schon gar nicht auf eine positive, "gekauft" wird. Im schlimmsten Fall (für den Künstler) investiert er (oder seine Verwerter) Zeit und Geld, um anschließend einen Verriss zu kassieren. Ja, ich höre die Stimmen: Auch das ist Werbung. Aber sicher nicht für recht unbekannte Künstler. Für die ist es oft der Abgesang. Juristisch lässt sich streiten, ganz streng juristisch lässt sich sagen: Dieses Zitieren ist keins. Wenn das so ist, muss man die Konsequenzen ziehen, auch wenn man eine liebgewordene Gewohnheit aufgibt. Das habe ich getan. Und es gleichzeitig bedauert. Weil ich finde, dass hier beide Parteien verlieren. Man KANN nicht für eine Kritik bezahlen!! Nie!! Das wird immer den Beigeschmack von Käuflichkeit haben. Und, auch nicht zu vergessen: Es haben sich ja auch längst andere Wege eröffnet. Meine Pressemappe war eigentlich ein in die Jahre gekommenes, ein dennoch liebevoll gestreicheltes Dinosaurierchen. Jetzt ist es eben ausgestorben. Das bedaure ich. Irgendwie. Liebe Grüße!
Quelle:
https://www.facebook.com/nikola.hahn1

13 Kommentare:

  1. Mein erster Gedanke dazu: Wie schade, daß du dich zu solchen Schritten veranlaßt fühlst. Ich habe immer sehr gerne die Pressemeinungen zu Büchern/Bildern gelesen (vorausgesetzt sie gehen über Allgemeinplätze hinaus, aber daß ist ein anderes Thema). Mir jedenfalls wird da was fehlen, auch wenn ich die Gründe gut nachvollziehen kann. Ich bin auch immer am zögern, ob ich ein Zitat verwenden darf/soll oder doch lieber nicht.

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    1. Genau dieses Hin und Her hat mich ja auch bewogen, so lange zu warten mit dem Löschen. Ich hatte mir eigentlich das avisierte Urteil im Oktober als Deadline gesetzt, aber durch die unverschämte Forderung gegen die genannte Künstlerin habe ich mich dann doch veranlasst gesehen, zur Sicherheit alles zu entfernen, was "problematisch" sein könnte. Auch wenn es das im Einzelfall vielleicht nicht wäre. Aber ehrlich: Was bleibt einem anderes übrig, als die Reißleine zu ziehen? Ich werde jedenfalls nur noch mit ausdrücklicher(!) Erlaubnis und damit lediglich in ausgesuchten Einzelfällen aus irgendwelchen Presseberichten zitieren.

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  2. in der rechtssprechung zum wesen des zitats gibt es eine definition, die lautet, daß ein kostenloses zitat nur so umfangreich sein darf, wie der zweck des zitats es dringend erfordert. wenn also der zweck des zitats ist, auf meine publikation und auf seine besprechung in der presse aufmerksam zu machen, und ich selbst kein gewerbe mit solchen Mitteilungen betreibe, sollte es frei sein, so lange es sich um auszüge handelt und nicht die komplette rezension. w.tumler, tv-produzent i.r.

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    1. Ich sehe das auch so, aber so lange andere Sichtweisen juristisch "durchgehen" (und die Definition lässt das leider zu), hilft alles nichts, wenn man sich unnötigen Ärger vom Hals halten will. Man kann viel machen, solange sich die Beteiligten einig sind. Sind sie aber leider offenkundig nicht mehr, und ich am Ende der Schlange kann`s nun mal nicht beurteilen, ob ich jetzt "diesen" oder "jenen" zitiere oder glaube zu zitieren.

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  3. ... ja erschreckend, widerlich, traurig, beschämend. Auch wir haben jetzt alle Rezensionen von unserer Webseite genommen. Und auf jedem Konzert, das ich seit dem ich von Scarletts Geschichte weiß berichte ich meinem Publikum davon. Kein Gast kann das verstehen. Es bleibt spannend was daraus wird. - Wichtig, das wir uns jetzt nicht einschüchtern lassen. www.liaisong.com

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  4. Furchtbar und ungerecht!

    Einerseits wird Scarlett O´ anwaltlich verfolgt, andererseits dürfen andere nach Lust und Laune Kopieren & Pasten und kommen ungeschoren davon.

    Schade, daß ihr die überwiegend positiven Kommentare entfernt habt.

    Ich drücke Frau Scarlett O´ die Daumen

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    1. Ein herzliches Hallo!
      Ich sehe das genauso, deshalb habe ich ja diesen Post geschrieben. Und ganz sicher wurden hier KEINE Kommentare gelöscht, weder positiv, noch negativ. Es ist nur so, dass die meisten inzwischen via Facebook kommentieren, und diese Kommentare, über die dann viele hier landen, sind irgendwann bei FB "verschwunden", also nach unten gerutscht. Ich finde es schade, dass die Leser immer weniger die Möglichkeit nutzen, in den Blogbeiträgen direkt zu kommentieren - damit bleiben alle Kommentare beim Beitrag und sind auch später noch präsent.

      Das Problem habe aber nicht nur ich, sondern auch andere Blogger.
      Es ist ja leider nicht mal möglich, auf den FB-Beitrag direkt zu verlinken, wie es beispielsweise bei Blogeinträgen problemlos geht.

      Also, in diesem Sinne: Die anderen Kommentare stehen bei mir auf FB.

      Herzliche Grüße und auch von mir ein dickes Daumendrücken!!

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  5. Du doch nicht.
    Es war ohnedies ein Irrtum, ich habe die Kommentare (Rezensionen) gefunden.

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  6. Es hilft nicht, auf "die Abmahnanwälte" zu schimpfen. Auch wenn das Geschäftsmodell anrüchig ist - die können sich nicht selbst beauftragen.

    Auftraggeber und Veranlasser der Aktion ist entweder der Verleger oder der Autor des Textes. An diesen ist bitte die Beschwerde über dieses Vorgehen zu richten, er hat es gewollt, er hat es (beim Abmahnanwalt) beauftragt.

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  7. Ach und nochwas: wie wäre es, wenn man sich im Gegenzug für die Freikarte zur Veranstaltung das Recht der Zweitveröffentlichung der Rezension zu eigenen Dokumentationszwecken im Internet einräumen läßt?

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  8. Noch ein Punkt ist das völlig verzogene Wertverhältnis, dass 1 Satz aus einer Rezension unter Umständen jetzt auf einmal mehr "wert" sein soll als das Buch erbracht hat, das sie bespricht? Das kann es nicht sein. Ich habe inzwischen auch alle Pressestimmen von meiner Website entfernt.

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  9. Hallo Andreas,
    ja, ich halte es auch für gewagt, die Pressestimmen einfach stehen zu lassen, wie es einige Autoren befürworten. Mir hat es wirklich in der Seele wehgetan, die liebevoll und über die Jahre hinweg zusammengestellte "virtuelle Pressemappe" in den Orkus zu schicken, aber es nützt ja alles nichts, wenn es juristisch so gewollt wird. Ich merke aber auch, dass ich damit ganz gut leben kann ... Aber ob die Zeitungen sich damit einen Gefallen getan haben? Herzliche Grüße von Schreibtisch zu Schreibtisch!
    Nikola

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