Samstag, 13. April 2013

Geständnis in der Lurchenhöhle

Gerade komme ich von einem langen und wunderschönen Spaziergang durchs Netz zurück, lasse mich mit einem wohligen Seufzen hier in meiner Schreibstube nieder und freue mich über die unglaubliche Vielfalt, die "Büchermenschen" in der virtuellen Welt geschaffen haben. Da sage noch einer, das (gedruckte) Buch sei auf dem absteigenden Ast!

In einem mit viel Begeisterung und Herzensfreude gestalteten Blog,
Leselurchs Bücherhöhle, fand ich die Aufforderung, ein Geständnis abzulegen ... Das passt besonders gut, nachdem ich eine ganze Woche lang damit zugebracht habe, meinen Kollegen etwas über professionelle Vernehmungsarbeit zu erzählen. 
 
DIESES BUCH IST SCHULD AN MEINER LESESUCHT!

So lautet der Vorhalt. Und fürs Geständnis möchte ich ein bisschen graben, denn beim Lesen der Aktion fiel mir eine Geschichte ein, die unter die Rubrik fällt "Gute Gedanken kehren immer wieder". Es ist schon Jahre her, als ich - schon damals gern im Netz unterwegs - auf die Initiative des Wiener Verlegers Dr. Fritz Panzer stieß, der alle Menschen, denen er begegnete, nach ihren drei "Lebensbüchern" fragte, also Bücher, die einen besonderen Eindruck hinterließen, im schönsten Falle das Leben nachhaltig beeinflussten. T
ausende von Menschen haben ihm geantwortet, und auf einer eigens geschaffenen Website wurde daraus das "Projekt Lebensbücher", ein rein privates Vergnügen ohne jeden finanziellen Hintergrund, ohne wissenschaftlichen Ehrgeiz. Eine wunderbare, zeitlose "Bestsellerliste" entstand. Leider ist die Seite nicht mehr online. Umso schöner ist es, nun eine ähnliche Idee zu finden, mit dem Unterschied, dass diesmal Buchgeständnisse erzählt, nicht gelistet werden und dass speziell nach der Inspiration fürs Lesen gefragt wird.
Ich nehme die Idee zum Anlass, um meine drei Lebensbücher, die ich damals auf die Liste gesetzt hatte, noch einmal herauszukramen ... Hier ist es also, mein Buchgeständnis:


1. Momo/Michael Ende
2. Das wunderbare Überleben/Wladyslaw Szpilman
3. Der Medicus/Noah Gordon

  Momo habe ich vor Jahren zuletzt gelesen, und ich kann nicht mal mehr in allen Einzelheiten sagen, wie die Handlung war, ABER, und das macht es zu meinem absoluten Favoriten (ich musste keine Sekunde nachdenken, dass es Platz 1 einnimmt), dieses Buch schwingt bis heute nach, ist eine wunderbar erzählte ZEIT-Geschichte, eine Metapher für die ruhelose Zeit, in der wir leben, auf jeder Seite Sätze, die berühren, die das, was man selbst empfindet, in poetische Bilder übersetzen, ein Buch, das tröstet, das Mut gibt und doch die Wahrheit nicht verschweigt. Kümmert es mich, dass es "nur" Jugendliteratur ist? Ganz ehrlich: Nicht im Geringsten.

  Auch beim zweiten Buch musste ich nicht lange überlegen, weil es mich gefühlsmäßig sehr "mitgenommen" hat, im wahrsten Sinne des Wortes. Wladyslaw Szpilman gelingt es, eine grauenvolle Zeit und noch grauenvollere Erlebnisse ohne Anklage zu erzählen, todtraurig selbstironisch, um es mit Wolf Biermanns Worten zu sagen, in einer schlichten, anrührenden Sprache. Ich habe nach der Lektüre tagelang fiktive Gespräche mit dem Autor geführt, das Erzählte hat mich einfach nicht losgelassen.


   Der Medicus auf Platz drei ist schließlich ein Buch, das mich vor allem durch die detailgetreue Recherche einer längst vergangenen Zeit fasziniert hat. Dabei hat es eine ganze Weile gedauert, bis ich mich an die Lektüre wagte. Ich bekam das Buch geschenkt, und der Titel sagte mir nichts, klang irgendwie dröge. Umso überraschter war ich, dass sich dahinter so ein erzählerisches Kaleidoskop verbarg. Hinzu kommt, dass ich dem Medicus quasi meine eigene schriftstellerische Genreorientierung zu verdanken habe. Aus einer Frage nach meinen Lieblingsbüchern entwickelte sich die Idee, meinen historischen Kriminalroman Die Detektivin zu schreiben.




Jahre ist es her, seit ich meine Lebensbücher benannte, und schon beim Schreiben merke ich, dass sie es geblieben sind: ganz besondere Bücher in meinem Leben. Nicht nur fürs Lesen-Müssen, sondern auch als Motivation fürs Schreiben: Momo hat mich letztendlich, zusammen mit Der Kleine Prinz, zu meinem Märchenroman Der Garten der alten Dame ispiriert und ist damit, bleiben wir in der Terminologie, sozusagen die späte Rechtsfolge meines Geständnisses *lach*.
 


www.thoni-verlag.com

4 Kommentare:

  1. Hallo, Nikola!

    Einen wirklich schönen Beitrag hast du da geschrieben, dankeschön! (An dieser Stelle auch ein großes Danke für dein Lob! :) )

    Toll, dass dich deine Bücher nicht nur zum Lesen, sondern auch zum Schreiben gebracht haben. Das ist wirklich eine Sache, vor der ich nur den Hut ziehen kann, denn ich hätte für ein Buch gar keine Geduld... :)

    Von deinen Büchlein kenne ich allerdings nur "Momo" und den "Medicus", aber gelesen habe ich sie noch nicht. Dafür liegen sie schon seit Urzeiten in meinem Regal herum... Ich sollte mich schämen, oder? :)

    Alles Liebe,
    Lurchi

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  2. Hallo Lurchi,

    ich komme gerade von Deinem Blog ... Es ist faszinierend, wie viele Menschen sich heute noch (obwohl es ja so viele andere "Zeiträuber" gibt) mit Büchern beschäftigen. Herrlich! Und dann: Du hast tatsächlich MOMO noch nicht gelesen????? Ein wunderbares, einmaliges Buch! Es enthält so unglaublich viele Wahrheiten, es ist ein einer so schönen, schlichten und doch fantasiereichen Sprache geschrieben, so einfach, und doch so klug. Ich könnte es noch heute dreimal hintereinander lesen ... Wenn Du "Märchenromane" magst, müsste es Dir eigentlich gefallen. Und "Der Medicus"? Nun, ich glaube, dieses Buch gefällt vor allem Lesern, die es lieben, in eine vergangene, fremde Welt abzutauchen. Für mich ist "Der Medicus" ein Buch gewesen, das zeigt, wie toll man historische Stoffe aufarbeiten kann ... Ich war schlichtweg fasziniert. Leider reichte dann (meiner Meinung nach) kein späteres Buch des Autors an dieses mehr heran, was die Fabulierkunst und Detailfreude angeht.

    Liebe Grüße und weiterhin viel Freude mit Deinen "Geständnissen" ;)
    Nikola

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  3. Hallo Nikola!

    Was du über den "Medicus" schreibst, kann ich von anderen Meinungen her nur bestätigen! Als Buchhändlerin habe ich während meiner Ausbildung mitbekommen, dass Noah Gordon ein großer Autor in dem historischen Segment ist und sich damals viele Kunden auf das neue Buch gefreut haben (ich glaube, es war "Der Katalane"), um doch nach dem Lesen wieder zu uns in die Buchhandlung gekommen sind und gesagt haben, dass es nicht so gut war wie seine Vorgänger bzw. haben manche Kunden auch erzählt, dass "Der Medicus" bisher sein bestes Buch gewesen sei und die anderen schlecht oder nur mittelmäßig. Du bist also nicht in der Unterzahl mit deiner Meinung, würde ich mal behaupten! ;)

    Übrigens tolles Buchgeständnis! Und wie Simone schon sagt: es ist toll, dass es dich sogar zum Schreiben gebracht hat! Hut ab! Ich habe auch keine Geduld dafür und (momentan) auch keine Zeit!

    Liebe Grüße,
    Franci

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    1. Hallo Franci,

      Du bringst es genau auf den Punkt! Ich glaube, wenn ich den "Medicus" nicht gelesen hätte, hätten mir die Nachfolgebücher sogar ganz gut gefallen - aber nachdem die Messlatte so hoch lag, war alles danach dann für mich nur noch Mittelmaß. Besonders der "Schamane" hat mich sehr enttäuscht. Ich hatte erwartet, dass der Autor ähnlich akribisch in diese "geheime Welt der Indianer" eintaucht wie er es im Medicus in die der (historischen) Ärzte getan hat. Und dann musste ich eine Geschichte lesen, die zwar nicht schlecht war, der aber diese Detailfreude, das Abtauchen in eine fremde, mystische Welt, das Vermitteln dieser tausendundeiner Kleinigkeit fehlte, das den "Medicus" bis heute für mich zu einer Köstlichkeit macht. Ich habe lange überlegt, warum es dem Autor danach nicht mehr gelungen ist, ein solches Buch zu schreiben. Der Stoff hätte es hergegeben, und er hat ja nicht den Fehler vieler Erfolgsautoren gemacht und ist exakt im gleichen Zeitalter mit den exakt gleichen Helden geblieben, die dann notwendigerweise in Fortsetzungsbüchern flacher werden müssen.

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