Ich weiß nicht, ob es Leser interessiert, aber "uns" Schreiber interessiert das schon: Die seit Monaten schwelende Urheberrechtsdebatte, die ja, bei näherer Betrachtung, alles "beieinand schmeißt": die Rechteverwerter, die Nutzer, die Netzgemeinde, die Contentindustrie, die Künstler, die Nichtkünstler, und andere Gruppierungen mehr, aber meistens eben mit dem Zusatz "DIE". Alles rein in den großen Topf und dreimal umgerührt, dann aufs Feuer und ordentlich Öl drübergegossen, damit nach dem großen Brand bloß keine Reste bleiben, über die man vernünftig diskutieren könnte.
Fakt ist, dass durch die Möglichkeiten des WWW Dinge sich verändert haben, sich verändern und weiter verändern werden, auch Nutzungsverhalten, auch die "Verwertung von Content", was jetzt auch wieder nur eine Zusammenfassung vieler Dinge und Inhalte bezeichnet. Schreiber interessiert das, Schreiber regt das nicht nur auf, es macht sie betroffen, traurig, verzweifelt, ratlos, wütend, hier und da auch unsachlich. Weil es schwer fällt zu verstehen, was da eigentlich "abgeht": Es ist nicht der Auftakt zu einer überfälligen, konstruktiven, vielleicht auch kontroversen Diskussion, wie man sie in einem demokratischen Gemeinwesen erwarten würde, sondern der Ausbruch eines Krieges zu beobachten, und von einigen wird so wild geschossen, dass man sich des Eindrucks nicht erwehren kann, dass sie insgeheim nur darauf gewartet haben, ihre Truppen endlich aufeinanderzuhetzen. Man brauchte womöglich nur die nötigen Fronten, man brauchte klar zu definierende, also "gute" Feinde.
Nun mag es Menschen geben, die die Dinge nicht überschauen, die nicht betroffen sind, aber trotzdem eine Meinung haben oder eine glauben haben und auch veröffentlichen zu müssen. Das Netz macht es möglich. Es gibt Entgleisungen und viel Halbwissen, viel Emotion, viel Unsinn, manchmal mittendrin durchaus diskutable Ansätze, die aber gern und pronto mit neuem Öl begossen werden. Bloß keine Ansätze zum Weihnachtsfrieden. Das war schon anno 1914 kontraproduktiv: zu entdecken, dass das Volk hüben wie drüben gleichermaßen denkt und fühlt.
Fröhliches Hauen und Stechen also. Man erinnert sich an die Zeiten des Ostblocks, Kriege wurden inzwischen kalt geführt und Begriffe hüben wie drüben konträr gedacht und definiert. Über die Inhalte von Demokratie und Freiheit ergebnisorientiert zu reden, mit einem staatstreuen Politiker der DDR, die ja die Demokratie sogar im Namen trug? Unvorstellbar. Nach 1989 hatte man die Illusion, solcherlei sei überwunden. Aber wo sind wir, bitte, hingeraten? In eine Gesellschaft, in der nicht mehr nur Begriffsdefinitionen, sondern gleich der Begriff als solcher in Frage gestellt wird? Da fällt mit dem Diskutieren die Sprache gleich mit weg: Wie soll man eine Brücke bauen, wenn der Boden fehlt? Und doch werden die Fahnen fröhlich weitergeschwenkt, auf denen das Mantra der Moderne steht: "Geistiges Eigentum existiert nicht!" Welche Missachtung liegt in diesem Satz, welche Anmaßung.
Schlimm ist es schon, wenn irgend jemand Öl ins Feuer gießt, aber wenn es dann noch Menschen tun, von denen man genau das nicht erwartet, weil man sie vielleicht für streitbar, aber sicher nicht für infam hält, Menschen, von denen man glaubte, dass sie die Wirkung von Brandbeschleunigern kennen; Menschen, denen man nicht einmal Fahrlässigkeit unterstellen kann oder Unwissenheit. Menschen, denen man die Fähigkeit zu differenzieren nicht nur zutraut, von denen man sie nachgerade verlangen muss, von denen man Unbequemes, Bissiges erwarten mag, aber bestimmt nicht das Gebrüll der Meute, die rausschreit, was sie schon so lange schreien will, weil es guttut, nach dem Schuldigen zu suchen, und weil es so einfach ist, ihn in einer Gruppe zu verorten, die mit "DIE" beginnt. Die anderen. Die Bösen. Die, die schuld sind. Das enttäuscht nicht nur, das erschüttert.
Wo gehen wir hin, wo wollen wir hin? Für uns Schriftsteller entscheiden das vor allem auch die Leser. Eines aber eint uns, die wir Geschichten schreiben: Wir möchten gern selbst entscheiden, wann und wie wir sie in die Welt hinaus lassen, und zu welchen Bedingungen. Und wir möchten, dass die Arbeit, sie zu schreiben, wertgeschätzt wird. Das ist, glaube ich, nicht zu viel verlangt.
Man mag offene Briefe (1) und Antworten auf offene Briefe (2) gut und differenziert finden, man kann sie falsch finden, unausgegoren oder anregend und diskutabel, ebenso wie Artikel (3), Kommentare, Glossen. Das alles bewegt, regt auf, regt an. Aber dann stößt man in all dem Wortgeklingel auf den einen Beitrag, der einen schlichtweg fassungslos macht. Geschrieben von einem Professor für Linguistik, veröffentlicht in einem Blog, das sich wissenschaftlich nennt (4). Eine ganze Flasche Öl, genüsslich ausgeschüttet über all der vorhandenen Glut. Da reicht der rote Button nicht mehr. Da braucht es eine Replik. Am besten eine Geschichte. Weil ich keine Opernsängerin bin, sondern Schriftstellerin.
Bis bald im Stübchen.
Nikola
Die erwähnten Blogs/Beiträge:
(1)
Offener Brief von 51 Tatort-Autoren
29. März 2012- 14:11http://www.drehbuchautoren.de/nachrichten/2012/03/offener-brief-von-51-tatort-autoren-0
(2)
Antwort auf den offenen Brief der Tatort-Drehbuchschreiber
2012-03-29 17:30:00, zas (51 Hacker des Chaos Computer Clubs)http://ccc.de/updates/2012/drehbuchautoren
(3)
Urheberrecht. 29.3.2012, Spiegel Online/
"Tatort"-Autoren beschimpfen "Netzgemeinde"
http://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/0,1518,824649,00.html
(4)
Anatol
Stefanowitsch – Offener Brief an die Contentindustrie
06. April 2012, 02:50
http://www.scilogs.de/wblogs/blog/sprachlog/sprachwandel/2012-04-06/offener-brief-an-die-contentindustrie